Nissan feiert sich als Helden des Crossover-Segmentes: kaum eine Mischung verschiedener Fahrzeuggattungen, die Nissan noch nicht aufgegriffen hat. Der Juke soll dabei eine Mischung aus Kleinwagen, SUV und Sportwagen darstellen. Da könnte man Angst bekommen, nichts halbes und nichts ganzes zu haben. Oder?

„Unter Ambivalenz (lat. ambo „beide“ und valere „gelten“) wird in der Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychoanalyse das Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Gedanken und Wünschen verstanden. In der gehobenen Umgangssprache gebräuchlicher ist das Adjektiv ambivalent (zwiespältig, doppelwertig, mehrdeutig, vielfältig). Der Begriff wurde von Eugen Bleuler (1857–1939) geprägt.“

Quelle: Wikipedia

Warum dieser Einstieg mit einem Ausritt in die Geisteswissenschaften? Nun, der Nissan Juke, den ich die letzten 2 Wochen hier vor der Türe stehen hatte, ließ mich tatsächlich in so einer ambivalenten Stimmung zurück. „Weder Fisch, noch Fleisch“ sagt man – aber so weit würde ich nicht gehen. Denn bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: der Juke hat Seiten, mit denen er begeistern kann. Aber ist der Juke nur etwas für Pescetarier oder auch für Fleischliebhaber?

„Aber moment mal“, werden jetzt vielleicht einige von euch sagen. „Nissan Juke? Den hattest du doch schon mal!“. Ja, hatte ich. Ein kurzer einstündiger Ritt mit einem Vorführwagen, kein vollumfänglicher Eindruck also. Und vor allem: dieser hier hat Allrad, was den sonst eher untersteuernden Juke auch sportlich gesehen sehr spannend werden lässt. Beim Thema „sportlich“ sind wir auch schon gleich am passenden Einstieg. Der Juke traut sich nämlich einen Spagat zwischen dem sehr beliebten SUV Segment, das ganze aber zwei Nummern kleiner, auf der anderen Seite versucht er die Lücke zu sportlichen Kleinwagen zu schließen. Ein ambivalenter Auftritt, sozusagen. Linienführung, muskulöse Rundungen und Kanten, wie ein Sportler, Scheinwerfer, die an 370Z, Rallyefahrzeuge und auch den GT-R erinnern, das ganze gepaart mit dem Auftritt eines SUV. Ein mutiges Konzept – genau wie das sehr umstrittene Äußere. Der Juke teilt die Menschen in zwei Lager: „whoa!“ oder „uärks!“ – ein Zwischendrin gibt es nicht. Aber genau das ist doch auch gut so und Nissan hat sich wirklich eine Menge Anerkennung verdient, ein Auto von der Studie zur Serie nur so wenig anzufassen. Der einzige Hersteller der das nun noch geschafft hat, ist Mercedes-Benz mit der neuen A-Klasse (sofern man die Sportversion ordert).

Gelungenes Styling, schöner Innenraum, wenig tolle Materialien

Wie dem auch sei: mir gefällt der Juke äußerlich, ich mag die Formen. Ok, die Farbe ist nicht die aufregendste, ein schönes Rot, wie beim Can, der den Juke bereits gefahren ist, würde mehr hermachen, aber egal – toll steht er da, also einsteigen! Im Innenraum macht sich dann aber erst einmal ein wenig Ernüchterung breit. Die Armaturen sehen cool aus, ebenso die Instrumente und auch sonst gefallen die verbauten Sachen – das Styling ist absolut gelungen. Die Materialien fühlen sich aber alle ein wenig … „nicht so hochwertig“ an. Schade, denn der Look des Innenraum gefällt mir echt riesig! Gerade auch der lackierte Mitteltunnel, die Lüftungsdüsen oder die Türgriffe – all das sieht echt klasse aus! Umso schmerzhafter, dass dieser tolle Eindruck auf Grund der Materialwahl getrübt wird. Vergessen darf man aber auch nicht, dass der Juke in dieser gehobenen Ausstattung und Top-Motorisierung, wie im Test gefahren, bereits ab rund 25.000€ zu haben ist! Und dafür ist die Ausstattung üppig: Rückfahrkamera, MP3 Radio mit USB-Anschluss, Navigatonssystem, Klimaautomatik und und und. Außerdem überzeugt aber die Bedienung des Entertainment-Systems: meine Standard-Challenge, Handy per Bluetooth koppeln, ging in weniger als einer Minute von der Hand. Ich musste nicht mals in ein anderes Menü gehen, auf Anhieb habe ich die richtigen Funktionen gefunden. Respekt, das konnte bisher noch kein einziger Testwagen! Auch die Musikwiedergabe per USB Stick mit vielen Ordnern geht perfekt von der Hand. Zudem reagiert der Touchscreen des ganzen Systems ultra-direkt auf jede Eingabe und gibt noch dazu ein (abschaltbares) akustisches Feedback. Besser kann es eigentlich kaum sein! Gut, der Klang, den die Anlage liefert, der geht „in Ordnung“, könnte aber etwas besser sein, gerade im mittleren Frequenzbereich fehlt Klangvolumen.

Erstaunlich übersichtlich, dieser Crossover!

Ein Kritikpunkt, den sich moderne Autos gerne gefallen lassen müssen: Übersichtlichkeit. Wie punktet da der Juke? Ich muss sagen: erstaunlich gut! Die großen Außenspiegel, die gut einsehbare Motorhaube und die (optional) verbaute Rückfahrkamera machen das Rangieren auch ohne Einparkhilfe zum Kinderspiel. Meiner Freundin waren die großen Außenspiegel allerdings oft eher hinderlich – das ist eben der Kontrast bei 30 Zentimetern Größenunterschied.. Trotz der guten Übersichtlichkeit, braucht es beim Einparken dann aber doch mal 1-2 Züge mehr, als man es von einem Auto dieser Größe erwartet hätte. Der Wendekreis beim Nissan Juke ist nämlich gefühlt riesig – auch wenn er mit 11,5 Metern eigentlich noch im Klassenmaß liegt. Vielleicht liegt es auch daran, dass einem der Juke kleiner vorkommt, als er ist. Das macht sich nämlich an mehreren Stellen bemerkbar: der Kofferraum bietet natürlich nicht so riesig viel Platz – aber für einen 2-Personen-Haushalt reicht es natürlich locker. Schade: die rein frontgetriebene Version hat im Kofferraum einen „doppelten Boden“ und bietet so noch mehr Verstaumöglichkeiten. Im Allradler ist dieser doppelte Boden aus Platzgründen gewichen, denn die Allradtechnik benötigt an der Hinterachse Platz, wodurch die Ersatzradmulde hochgerutscht ist und genau diesem doppelten Boden den Platz nimmt. Meiner Meinung nach hätte man hier auch gerne auf das Ersatzrad verzichten und stattdessen ein Pannenset mitliefern können, dafür aber den doppelten Boden beibehalten – aber das ist sicher Geschmackssache.

Den anderen Kritikpunkt in Sachen Größe muss sich der Juke bei der Sitzposition gefallen lassen. Mit meinen 1,89 Metern hatte ich es im Nissan Juke nicht unbedingt einfach, eine komfortable Sitzposition zu finden. Sicher – Platz ist noch für längere Menschen, aber eine vernünftige und komfortable Einstellung war nicht zu finden. Das lag vor allem an dem nicht tiefenverstellbaren Lenkrad. Mit einem angenehmen Abstand des Sitzes zu den Pedalen, wäre das Lenkrad – insbesondere für eine sportlichere Fahrweise – viel zu weit entfernt gewesen. Also Sitz nach vorne, was wiederum unterhalb der Hüfte auf Dauer anstrengend wurde. Zumal die Sitze an sich leider nicht viel Seitenhalt bieten – gerade bei sportlicher Kurvenfahrt fehlt es da an Grip – im Sitz. Aber gemeckert habe ich ja jetzt schließlich genug. Diese Sachen muss jeder für sich eben finden, ob und wie bequem er in einem Auto sitzen kann.

Die Fahrleistungen passen – die Möglichkeiten des stufenlosen Getriebes sind cool!

Wenden wir uns doch viel lieber dem zu, was mir ohnehin am meisten am Herzen liegt: Fahren. Bestenfalls vor allem sportliches Fahren! Mit 140 kW (190 PS) aus einem 1,6 Liter Direkteinspritzer-Turbomotor und einem Drehmoment von 240 NM sollte sich doch einiges machen lassen, oder? Nun ja.. auch hier macht sich wieder eine ambivalente Stimmung breit: die Fahrleistungen für sich betrachtet sind gut. Allerdings schluckt das Gewicht von fast 1,5 Tonnen doch einiges dieser Leistung. Auch der Allradantrieb, der natürlich auch beim Gewicht ein paar Scheiben drauflegt, kostet den Antrieb ein paar Punkte in der Effizienzwertung. Trotzdem geht der Juke gut vorwärts, denn immerhin reicht es für angemessene Fahrleistungen. 0-100 in 8,4 Sekunden und die Spitze wird erst bei 200 km/h erreicht – faktisch laut GPS waren sogar über 210 km/h drin. Und im Juke habe ich das stufenlose Getriebe, im Gegensatz zum Honda Insight, nicht als „nervig“ bei sportlicher Fahrt kennengelernt. Das liegt vor allem auch daran, dass der Juke über ein „Dynamics Management“ verfügt, in dem sich 3 Fahrzustände festlegen lassen: Normal, Sport und Eco. Im normalen Modus beispielsweise arbeitet das stufenlose Getriebe weitgehend „wie gehabt“ und hält die Drehzahlen beim Beschleunigen in einem möglichst effizienten Drehzahlbereich. Im Eco Modus wird das ganze dann noch durch eine deutlich progressivere Gaspedalkennlinie unterstützt und auch ein anderes Arbeitsverhalten der Klimaanlage soll den Verbrauch weiter drücken. Der Sport-Modus des Getriebe arbeitet dagegen ganz anders: hier arbeitet das Getriebe mit einer Mischung aus stufenlosem Vortrieb und festen Gangübersetzungen – je nach Lastzustand. Und hier kann man auch bei Bedarf die Übersetzung selbst wählen und es macht sogar Spaß! Dank Wandlerüberbrückung wechselt der Juke dann nämlich so unglaublich fix zwischen den 7 Fahrstufen hin und her, dass es bei wilderem Spieltrieb eine wahre Freude ist! Bei sportlichen Fahrten auf kurvigen Landstraßen passt dieses Setup wirklich perfekt und unterstreicht den sportlichen Anspruch. Je nach Modus werden in dem Info-Display dann übrigens auch unterschiedliche Informationen angezeigt: im Eco-Modus sind es etwa verschiedene Verbrauchsstatistiken, im Sportmodus Drehmoment oder Fliehkräfte.

2WD-Modus – „ok“, 4×4-i – „nein, was ist Torque-Vectoring geil!“

Aber auch das Fahrwerk macht einen hervorragenden Job. Um es gleich vorwegzunehmen: der Juke ist straff gefedert – sehr straff. Das soll natürlich die Wankneigung auf ein Minimum reduzieren, anders würde man ein Auto mit einer höheren Bodenfreiheit und entsprechender Bauhöhe auch kaum zum dynamischen Fahrstil erzogen kriegen. Und das funktioniert: die Wankneigung fällt sehr gering aus und der Juke  ist ausgesprochen bissig, wenn es darum geht, die Lenkbefehle des Fahrers in Bewegungen umzusetzen. Das eigentliche Highlight ist bei flotter Kurvenfahrt aber der Allradantrieb. Im normalen Einsatz treibt der Juke nur die Vorderräder an. Per Wahlschalter kann man zwischen zwei Allradmodi wählen: entweder ein dynamischer Allradmodus oder permanenter Allradantrieb. Wählt man den dynamischen Modus, unterstützt der Juke das Fahrverhalten noch zusätzlich durch Torque Vectoring. Das bedeutet, dass der Juke das Drehmoment nicht nur zwischen Vorder- und Hinterachse verteilen kann. Er kann darüberhinaus auch die Kraft an der Hinterachse zwischen den Rädern verteilen. Effektiv kann er so bis zu 50% des gesamten Drehmoments an eines der Räder an der Hinterachse verteilen. Und das – mein lieber Herr Gesangsverein – macht aus dem Juke eine echte Kurvensau. Denn effektiv wird damit fast jede Form von Untersteuern beim Juke vollständig eliminiert und er reißt sich geradezu in die Kurven rein. Alleine dieses Torque Vectoring System, Nissan nennt es 4×4-i, macht den Juke zu einem so großartigen Begleiter auf kurvigen Landstraßen, dass man schnell alles andere vergisst. Einzig die starke Neigung zum Aufschaukeln auf langen Bodenwellen, die überrascht einen dann doch ab und an mal. Macht aber nix. Der Juke bleibt so gutmütig wie ein komatöser Hooligan: er kann wild, macht in der Situation aber keinen Ärger.

Kleiner, muskulöser Trinker

Kommt man aber nach einer solchen Ausfahrt wieder an die nächste Tankstelle, sind jegliche Glücksgefühle wieder verflogen und es wird einem klar, dass man sich hier auf einen äußerst trinkfesten Kumpel eingelassen hat: unter 10 Liter war der Verbrauch auf den fast 1.400 Kilometern im Juke nicht zu kriegen. Direkt nach etwas wilderem Spiel stand auch gerne mal eine 12 oder 13 im Display, das übrigens nicht mit eingeschaltetem Bordcomputer abzulesen ist, was mich zugegebenermaßen ziemlich genervt hat. Insgesamt konnte ich den Verbrauch immerhin wieder auf 10,8 Liter senken, für einen vermeintlich sparsamen Direkteinspritzer-Downsizing-Mustermotor ist das aber ein irritierend hoher Wert, zumal auch bei ruhigem Cruisen auf der Landstraße kaum nennenswert niedrige Verbräuche in der Verbrauchsanzeige zu erreichen waren.

Fisch? Fleisch? Sportler oder SUV? Zeit für’s Fazit

Bleibt nun abschließend die Frage offen: Fisch oder Fleisch? Sportler oder SUV? Was ist der Juke denn nun? Tja.. meine Meinung ist – wer hätte das gedacht – ambivalent. Auf der einen Seite kann der Juke gerade mit seinen sportlichen Veranlagungen in vielerlei Hinsicht Eindruck schinden. Ein konsequenter Sportler ist er natürlich nicht, aber trotzdem meistert er den Spagat zwischen Kleinwagen, SUV und Sporter erstaunlich gut. Auf der anderen Seite stechen einem dann aber wieder leichte Materialschwächen, ein hoher Verbrauch und eine ungünstige Sitzposition ins Auge, die es schwer machen, den Juke auch dauerhaft zu lieben. Aber vielleicht ist es ja auch seine Einzigartigkeit, die ihn so besonders macht und seine Mängel zu Kleinigkeiten oder gar Charakterstärken werden lässt. So oder so – der Juke macht Spaß, ohne Frage. Und wer nicht so auf trinkfreudige Kumpel steht, der sollte einen Blick auf den Juke mit Dieselmotor riskieren – den gibt es allerdings leider nicht mit dem großartigen Allradantrieb. Wer sich aber mit seinem ungezügelten Durst und wenig aufregender Materialanmutung anfreunden kann, der darf sich sicher sein, ein wahrlich außergewöhnliches Auto auf deutschen Straßen zu bewegen, das – so auch meine Erfahrung in den vergangenen zwei Wochen – immer noch für viel Aufmerksamkeit sorgt und auch an Ampeln und Bushaltestellen Blicke auf sich zieht, Blicke die sagen, „och, guck mal, der ist ja auch süß“ und Blicke die sagen, „meine Güte, was ist denn das?“. Aber was wären wir für Autoliebhaber, wenn wir nicht genau auf solche Autos scharf wären?

Tests anderer Auto-Blogger:

Technische Daten

Nissan Juke TEKNA DIG-T 4×4

Testwagenpreis:
25.955,- €
Motor Bauart:
Reihenvierzylinder, Turbobenziner DOHC, Direkteinspritzung
Hubraum:
1.618 cm³
Leistung:
140 kW / 190 PS bei 5.600 U/Min
Drehmoment:
240 NM bei 2.000 – 5.600 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
200 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h):
8,4 Sekunden
Verbrauch städtisch / außerstädtisch / kombiniert:
10,2 l / 6,0 l / 7,6 l Benzin
Testverbrauch:
10,8 l / 100km über 1.388 km Testkilometer
Leergewicht:
1.441 kg
Max. Zuladung:
410 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4,135 m / 1,765 m / 1,565 m


Autor Sebastian

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

1 Kommentar

  1. autohubde

    Dringend empfohlen: Ein Besuch bei den anonymen Superplus-Trinkern. Wenn ich nun einwerfe, der 911er S vor der Tür lässt sich auch mit 10 Litern fahren. Nur schneller, dann glaubt das wieder niemand 😉

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