„Gewalt kann alles“, das war ein Satz, den mir mein Erste-Hilfe-Lehrer im Zuge meiner Führerscheinvorbereitung, mit einer gewissen Portion Sarkasmus wohlgemerkt, beigebracht und der sich seither in mein Gedächtnis gebrannt hat. Am vergangenen Wochenende kam mir dieser Satz sehr häufig wieder in Erinnerung, denn ich hatte Gelegenheit auf eine Ausfahrt im Mercedes-Benz E63 AMG S 4Matic.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Und wenn wir von Gewalt sprechen, dann sind wir beim E63 völlig richtig. Insbesondere dann, wenn noch ein unauffälliges „S“ im Namen vorkommt. Dann wird aus einem latent aggressiven Grenzgänger ein wahnsinniger Axtmörder, der auskeilt, sobald man ihm nur den kleinsten als Provokation interpretierbaren Anlass gibt. Das hat man auch in Affalterbach gemerkt und zog ihm eine Hannibal-Lecter-artige Ledermaske über. Bei Mercedes nennt man das üblicherweise „4MATIC“ und sorgt damit für eine Kraftverteilung an alle vier Räder.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Bevor hier nun aber falsche Ängste aufkommen: bei AMG wollte man bewusst keinen Allradantrieb einsetzen, welcher ganz und gar der Fahrstabilität verpflichtet und damit der Fahrdynamik nicht immer unbedingt zuträglich ist. Man entschied sich für eine feste Lastverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. 33 vorn, 67 hinten, das muss reichen. Und das Ergebnis ist tatsächlich beeindruckend: während der E63 AMG S 4MATIC nun das Laufen erlernt hat, wurde ihm kein stoischer Zwang zum Geradeausfahren antrainiert. Querfahren? Jederzeit! Dank mechanischer Sperre an der Hinterachse wird die Kraft dort souverän verteilt, während die 33% an der Vorderachse für ein nötiges Mindestmaß an umsetzbaren Vortrieb sorgen. Viel mehr ist es aber auch nicht. Kollege Fabian Mechtel fasst das ganze mit zwei Worten zusammen: „Außer Kontrolle“.

Denn so brachial, wie der Biturbo ans Werk geht, ist auch ein Allrad fast nur Makulatur. 800 NM, welche binnen des Bruchteils einer Sekunde mit Vehemenz gegen den Antriebsstrang geprügelt werden, sobald die beiden Turbolader Luft in die Brennräume peitschen und der Fahrer schneller dem Rausch eines Cocktails aus Endorphinen, Dopamin und anderen Glückshormonen erliegt, als jede Droge es möglich machen würde. Über zwei Tonnen Gewicht auf dem Papier? Für diesen Motor leichtes Spiel. Zu leichtes Spiel. Denn die rohe Gewalt des Triebwerkes ist zwar beeindruckend, grenzt aber auch schon an Unfahrbarkeit. Nicht auszumalen, wie sich der E63 S mit nur zwei angetriebenen Rädern anfühlen würde. Und dennoch hätten Bjoern, der sichtlich Spaß am Quertreiben hatte, und ich das gerne herausgefunden. Doch 585 PS in Kombination mit dem „S“-Label, das gibt es eben nur mit 4MATIC. Vielleicht auch besser so..

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Apropos Gefühl: die Lenkung ist den Ingenieuren aus Affalterbach ganz vorzüglich geglückt: gleichwohl was die Vorderachse gerade macht, am kräftigen Volant ist jedes bisschen davon zu spüren. Dazu geht die Servolenkung mit unterschiedlich starker Lenkunterstützung ans Werk. Stellt man den Drehregler in der Mittelkonsole erst einmal auf S+, wie Sport Plus, ist die Lenkung ein perfekter Misch aus Feinfühligkeit und angemessener Lenkkraft. Mit eben diesem Drehschalter aktiviert man übrigens auch die „Race Start“ getaufte Launch Control: ESP auf Sport Plus stellen, Drehschalter zwei Stufen weiter auf „Race Start“, mit dem rechten Schalt-Paddle bestätigen, linken Fuß auf die Bremse, rechten Fuß voll auf’s Gas, Bremse lösen und spüren wie spektakulär unspektakulär ein 2-Tonnen-Kombi in 3,7 Sekunden in den Knöllchen-kritischen Bereich schießt.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Im Race Start kümmert sich die Automatik um das perfekte Timing der Schaltvorgänge, welche vom Getriebe jederzeit mit einer Präzision und einem Tempo vorgetragen werden, dass es zum weinen schön ist. Währenddessen sorgt eine Zündunterbrechung beim Hochschalten für ein schnelles Anpassen des Drehzahlniveaus und das daraus resultierende „Plopp“ seitens des Abgastraktes für Freudensprunge des Fahrerherzens. Das Herunterschalten wird hingegen im Sport-Modus durch tiefes, gutturales Zwischengasbellen quittiert.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Problematisch wird die Kombination aus irrsinnig potentem Triebwerk und an und für sich hervorragendem MCT-Getriebe jedoch dann, wenn der Fahrer selbst unter voller Last die Zügel in der Hand hat – oder besser, die Schaltwippen. Denn die Schaltbefehle werden unter Last leider nur mit leichter Verzögerung umgesetzt. Bei einem Triebwerk, welches die Nadel des Drehzahlmessers wohl schon knapp vor seine mechanische Belastbarkeit stellen dürfte, reicht diese kleine Verzögerung allerdings schon aus, dass man sich darin üben sollte gute 400-500 Umdrehungen früher zu schalten, als man es eigentlich möchte. Sonst endet der Vortrieb jäh im wenig motiviert klingenden Drehzahlbegrenzer und aus einer wilden Beschleunigungsorgie wird nicht mehr als ein holpriges Tête-à-tête. Wo wir gerade von Dates sprechen: Can hat auch sehr schön vom Date des E63 mit Barcelona gesprochen. Wer da wohl die Oberhand hatte? Besser selbst in Verbindung mit den wunderschönen Bildern seinen Artikel lesen!

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell Innenraum

Ein Freund langfristiger Beziehung und nicht nur eines kurzen Dates, ist die einfache Stahlbremsanlage. Auf den kurvigen Straßen unterhalb des Montserrat war das serienmäßige Bremssystem nur schwer an seine Grenzen der Belastbarkeit zu bringen. Erst sehr spät, war leicht nachlassender Pedaldruck zu verspüren. Hier haben die Ingenieure ganze Arbeit geleistet und eine ausreichende Kühlung sichergestellt. Denn während ich den CLS63 AMG Shooting Brake mit Karbonkeramik-Bremse letztes Jahr bereits nach wenigen Kurven in die Knie zwang, hat sich der E63 AMG S 4MATIC wacker geschlagen.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Wacker schlagen sollte sich indes auch der Kontostand potentieller Interessenten. Denn neben des nicht gerade Schnäppchen-verdächtigen Grundpreises von 121.000€ wollen auch die mehr als 30 Liter SuperPlus Kraftstoff auf 100km finanziert werden, welche während der Testfahrt durch die Brennräume geschüttet wurden. Mehr als 30 Liter zeigt der Bordcomputer übrigens nicht an, dies sei aber nur am Rande für mögliche Interessenten erwähnt. Ebenso auch der Umstand, dass der gerade einmal 66 Liter fassende Tank (wovon bereits 13 Liter Reserve sind) nicht gerade für hohe Reichweiten sorgt. Eines aber ist klar: mit dem Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC ersteht man ein Fahrzeug, das wohl besser als jeder AMG zuvor auch die Disziplin Komfort beherrscht und akustisch ein wahres Feuerwerk abbrennt. Der umfangreiche Entwicklungsaufwand ist dem neuen AMG jedenfalls an jeder Ecke anzumerken, sei es beim Fahrwerk, beim Sound, beim Antrieb. Ob man den unberechenbar brutalen Charakter eines Axtmörders mag, muss man selbst wissen, aber ganz ehrlich? Autos, die uns den Angstschweiß den Rücken heruntertreiben sind es doch, die uns so faszinieren. Damit darf sich der Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC in die Reihe einiger Supersportwagen einordnen auch wenn er eigentlich nicht mehr als eine überaus sportliche Reiselimousine ist – außer vielleicht in Puncto Reichweite.

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Disclosure: ich wurde von Mercedes-Benz nach Barcelona, Spanien eingeladen, um an der Fahrveranstaltung teilzunehmen. Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung wurden von Mercedes-Benz übernommen. Es wurde zu keiner Zeit versucht auf meine freie Meinungsbildung Einfluss zu nehmen und meine persönliche Meinung ist und bleibt meine Meinung, welche in keinster Weise durch Dritte beeinflusst wurde.

Technische Daten

Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell

Motor-Bauart:
Achtzylinder V-Motor mit Biturbo-Aufladung und Benzin-Direkteinspritzung + WLLK
Hubraum:
5.461 cm³
Leistung:
430 kW / 585 PS bei 5.500 U/Min
Drehmoment:
800 Nm bei 2.000 – 4.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
250 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
3.7 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
14.4 L / 8.2 L / 10.5 L SuperPlus (ROZ 98)

Grundpreis Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC T-Modell:
121.023
Testfahrzeugpreis:
150.151
Testverbrauch:
30 Liter / 100 km über 225 km
Leergewicht:
2.045 kg
Max. Zuladung:
400 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4.904 mm / 1.873 mm / 1.522 mm

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

3 Kommentare

  1. Morgen 🙂

    Offtopic:
    Dein Schreibstil ist weltklasse 😉

    Zum Fahrzeug:
    Mich wundert es das nicht jedem Mann bei diesem Auto der Sabber aus dem Mundwinkel läuft 🙂
    Was ich nur nicht verstehe ist von dir angesprochene 66 L Tank. Wie können die Ingenieure solch ein brachial schönes Auto bauen und dann einen Tank verbauen, mit dem man jede Stunde tanken muss wenn man auf der Autobahn unterwegs ist?
    Das erinnert mich stark an meinen alten Smart… Na gut der Vergleich hinkt zwischen 55 PS und 585 PS aber mit dem Elefantenrollschuh musste ich auch oft tanken fahren 😉

    • Vielen lieben Dank für das Lob! 😉

      Ja, der 66 L Tank ist so eine Sache.. das bekommen komischerweise viele oft nicht so richtig hin, vermutlich auf Grund der Platzprobleme, hier noch verstärkt durch den Allrad. Ich weiß genau, was du meinst: mein Smart Roadster war auch nicht gerade mit einer großen Reichweite gesegnet, hatte auch nur 35 Liter inkl. 5 Liter Reserve und meinen jetzigen Megane RS kann man auch schon mal alle 180km an die Zapfsäule schicken, wenn man es darauf anlegt 😉

      Aber hier fällt der „Mangel“ vor allem deshalb auf, weil so eine E-Klasse ja eigentlich auch eine gute Reiselimousine ist.

      • Naja es sein ja auch nochmal dahin gestellt ob man, wenn man dieses Fahrzeug zum Reisen nutzt, wirklich das Gaspedal festspaxt oder ob man gemütlich fährt. Bei der heutigen Verkehrslage ist es ja sowieso unwahrscheinlich mit 250 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit zu Reisen. Und wenn man dann noch Kinder an Bord hat ist es sowieso nochmal eine andere Geschichte.
        Nichts desto trotz bleibt es ein „Mangel“ aber auch ein wunderschönes Auto 😉

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