Darf ein Chrysler ein Lancia-Label tragen? Oder schlimmer noch: darf ein Lancia ein Chrysler sein? Kaum ein Thema wurde in der Zeit, die ich den Lancia Thema 3.6 V6 Executive zum Test hatte emotionaler debattiert, als diese Form des Badge-Engineerings. Ist das schlecht? Wird der Lancia Thema dadurch weniger liebenswert und wie schaut es mit seinen wahren Qualitäten aus? Soviel vorab: besser, als man glaubt!

Als vor rund 1 1/2 Jahren bekanntgegeben wurde, dass der Chrysler 300C nun hierzulande wiederkommen wird, nämlich als Lancia Thema, war ich ganz ehrlich gesagt begeistert. Ich bin ein Fan des 300C gewesen. Und  ich mag Lancia. Aber ich bin wohl kein „Kind“ des Lancia-Erbes. Brand Heritage schön und gut, aber dafür hat mir wohl immer der Bezug zur Marke Lancia gefehlt. Lancia Delta HF Integrale – das war meine Welt, ein Auto, welches mich seit meiner Kindheit faszinierte. Mit dem klassischen und eleganten Charakter eines Lancia hatte ich daher wohl nie viel mit am Hut. Gut für mich, denn so konnte ich mich unbefangen des Lancia Thema erfreuen. Übrigens: ich bin ja nicht der erste, der den Lancia Thema durch die Gegend fuhr: auch Roman von fanaticar.de fuhr den Thema und hat wie immer jede Menge hervorragender Fotos gemacht!

Schön geworden ist er ja, der Thema. Während der 300C noch extrem wuchtig, fast schon plump wirkte, präsentiert sich der neue deutlich eleganter. Und trotzdem ist und bleibt er ein Dickschiff: ein massiger, wuchtiger Auftritt garantiert ihm auch im Münchener Verkehrsbild volle Aufmerksamkeit. Kein Wunder, bei über 5 Metern Länge. Mir gefällt es, egal aus welchem Winkel man ihn betrachtet. Und auch im Innenraum, welcher sich am deutlichsten vom Chrysler 300C unterscheidet – hier haben die Lancia-Designer wieder Hand anlegen dürfen – stimmt die Atmosphäre. Zwei braune Lederfarbtöne, helle Kontrastnähte, dazu Holzapplikationen, die nicht dem üblichen 0-8-15-Wurzelholzdekor-Schema folgen, welches man von anderen Autos hundertfach kennt. Ich mag das und auch die Haptik lässt im Großen und Ganzen keine Wünsche offen. Die Serienausstattung ist in der Executive Version mehr als üppig: Alpine Soundsystem, Adaptiver Tempomat, Tot-Winkel-Warner, (wunderschöne) 20″-Felgen, Fernlichtassistent, Klimaautomatik, belüftete und beheizbare Sitze – es bleibt so gut wie kein Wunsch offen.

Ein optisches Highlight sind die blau beleuchteten Instrumente. Nicht nur in Schriftart und Design sehen sie hervorragend aus, gerade Nachts wirken die Instrumente dank der blauen Beleuchtung extrem gut. In der Mitte des Armaturenbrettes prangt ein großer Touchscreen, mit welchem sich mehr oder weniger das gesamte Auto steuern lässt. Das hat den Vorteil, dass die Anzahl der Schalter in der Mittelkonsole auf ein erträgliches Minimum reduziert werden konnte. Auch die Bedienführung des Infotainment-Systemes ist weitestgehend logisch. Selbst Funktionen, wie die Klimasteuerung, Belüftung oder Heizung der Sitze oder die Steuerung der Sonnenblende an der Heckscheibe sind schnell und intuitiv zu erreichen. Aber: die Darstellung passt ich nicht unbedingt zum Auto und wirkt nicht halb so wertig, wie der Rest des Innenraumes. Zudem sind viele Übersetzungen und Abkürzungen mehr als unglücklich. Dass „Musiknvgtn“ wohl eine Abkürzung für „Musiknavigation“ sein muss, erschloss sich mir erst durch einen Tipp bei Facebook zum Testende. Mit Hilfe dieses Features ist es übrigens möglich, Alben per Sprachsteuerung abzuspielen. Das funktionierte, wie die Sprachsteuerung an sich, auch erstaunlich gut.

Wenig intuitiv waren dagegen manche Knöpfe am Lenkrad angebracht. Nicht nur auf der Vorderseite, sondern auch auf der Rückseite gab es unbeschriftete, ominöse Knöpfchen, welche erst spät ihre Funktion erahnen ließen. Federn lassen musste vor allem auch das Navigationssystem. Das arbeitete teilweise nicht nur träge und langsam. Vor allem glänzte es oft durch sehr inakkurate Positionsangaben und wähnte sich daher häufig in der falschen Straße. Zudem ist die Darstellung eine Mittelschwere Katastrophe. Straßen werden allesamt so fett gezeichnet, dass man in der verwinkelten Großstadt kaum noch in der Lage ist, überhaupt etwas sauber zu erkennen. Dazu kommt noch ein herrlich nutzloses Feature, dass es dem Fahrer erlaubt, ein anders 3D-Modell für die Darstellung des eigenen Autos auf der Karte auszuwählen. Wer’s braucht…

„Wer’s braucht“ könnte man auch als Überleitung zum Antrieb sehen. Der Thema wird nämlich von einem kräftigen und großvolumigen V6 befeuert. Braucht man das? Nun ja, nicht unbedingt. Will man das? Absolut! Der Motor ist in seiner Charakteristik und Leistungsentfaltung absolut überzeugend! Zudem kann er sich klanglich mehr als hören lassen. Bei entspannter Fahrweise brabbelt er gelassen vor sich her, gibt man ihm die Sporen, feuert der Sauger akustisch eine schöne Sechsender-Sinfonie ab, die auch ganz dezent bassig aus dem Heck untermalt wird. Dazu macht die 8-Gang-Automatik von ZF einen hervorragenden Job. Sie schaltet jederzeit sanft und wenig nervös. Unpassend wirkte das Zusammenspiel zwischen Motor und Getriebe lediglich auf der Autobahn, wenn man mit dem adaptiven Tempomat unterwegs war.

Ist man hinter einem langsameren Auto ausgeschert, war die Beschleunigung gesteuert durch den Tempomaten viel zu progressiv und erst nach und nach hat sich die Elektronik entschieden, einen Gang zurückzuschalten, um entsprechend Fahrt aufzunehmen. Überhaupt: zwar ist der 3.6 Liter V6 mit seinen 210 kW (286 PS) sehr souverän unterwegs, für den Zwischensprint auf bergigen Autobahnetappen braucht es aber dennoch Drehzahlen. Das macht sich auch beim Verbrauch bemerkbar: 12,9 Liter waren es zum Testende im Schnitt. Betrachtet man aber die gebotenen Fahrleistungen, den Hubraum und die Nutzung im Testzeitraum, geht der Verbrauch in Ordnung. Denn ich war viel und flott auf der Autobahn unterwegs und ansonsten mehr im Stadtverkehr Münchens, als auf der Landstraße. Wer es sparsamer mag, dem sei ein Blick auf den Lancia Thema Diesel empfohlen, den Jens bereits gefahren ist. Auch Jan hat dabei einen Blick auf den eleganten Panzer mit Dieselmotor geworfen.

Trotzdem, die Autobahn ist sein Revier. Hier fühlt sich der Lancia Thema richtig wohl. Dazu trägt auch das angenehme Geräuschniveau und die bequemen Sitze bei. Für die Landstraße ist der Thema ohnehin zu massig und zu behäbig. Zwar folgt er den Lenkbefehlen recht direkt und keilt erst spät kräftig mit dem Heck aus, man merkt aber die in Bewegung befindliche Masse deutlich. Regelmäßige Knarzgeräusche aus Richtung des Panormaglasschiebedaches dürften zudem bei sportlicherer Gangart auf der Landstraße Aussagen des Herstellers hinsichtlich der Verwindungssteifigkeit der Karosserie mindestens in Frage stellen.

Fazit

Der Lancia Thema 3.6 V6 Executive IST ein gelungener Wurf des gerne verpönten „Badge-Engineerings“. Ja, er ist ein Chrysler und ja, er macht daraus keinen Hehl, wurden doch von außen lediglich die Markenlogos ausgetauscht. Stört das? In keinster Weise – mich zumindest nicht. Der Thema ist eine sauber und solide gearbeitete Limousine, welche optisch eine ganze Menge hermacht – innen und außen. Die Ausstattung ist mehr als üppig und im Alltag leistete sich das Dickschiff keine Schwächen. Lediglich – und das war zu erwarten – die Übersichtlichkeit ist dank der Außenmaße nicht unbedingt auf dem besten Level für die Stadt. Immerhin ist dafür eine Rückfahrkamera an Bord. Das Infotainment macht technisch einen sehr guten Job, überzeugt aber nicht in der Darstellungsqualität. Punkten kann der Thema dafür beim Komfort und den Fahrleistungen: der Chrysler Pentastar V6 fühlt sich nicht nur gut an, er schiebt auch gut an und klingt wunderschön. Dass man dafür ganz ohne Start/Stopp und anderer verbrauchssenkender Maßnahmen einen Verbrauch von fast 13 Litern kalkulieren muss – wenig überraschend. Fakt ist: der Lancia Thema ist ein grundsolides Auto mit einem sehr fairen Preis-/Leistungsverhältnis, welcher auch Premium-Fetischisten gefallen kann. Darf ein Lancia nun also ein Chrysler sein? Mir egal, sofern das Paket stimmt – und das tut es beim Lancia Thema.


Worin er besticht

Ausstattung, Styling und Verarbeitung. Ganz einfach. Die Ausstattung ist üppig und unterstützt damit ein mehr als faires Preis/Leistungs-Verhältnis. In Puncto Styling punktet er außen, wie innen. Insbesondere das feine Leder und der zweifarbige Innenraum können überzeugen. Die Verarbeitung lässt zudem keine Wünsche offen und lässt nur „hier und da“ Grund zu Kritik. Der Thema ist ein gelungenes Package und eine tolle Alternative, wenn man auf der Suche nach einer edlen Reiselimousine ist.

Worin er nicht überzeugt

Das Infotainmentsystem ist zwar recht logisch aufgebaut und alle Fahrzeugfunktionen lassen sich schnell erreichen, die Darstellung passt aber keinesfalls zum sonst sehr wertigen Auftritt und auch das Navi konnte auf Grund einiger Patzer letztlich nicht überzeugen.

Wertung

7.1/10
  • Fahrdynamik: 3
  • Fahrspaß: 6
  • Sound: 6
  • Verarbeitung: 7
  • Komfort: 7
  • Ausstattung: 8
  • Verbrauch: 3
  • Preis/Leistung: 7
  • Persönliche Anziehungskraft: 7
Mein passion:driving Wertungsschlüssel spiegelt meine subjektive Einschätzung des Testwagens in verschiedenen Kategorien wieder. Die fahrdynamischen Qualitäten spielen dabei eine große Rolle. Trotzdem wird ein Auto nur durch Performance keine 10er-Wertung erhalten können. Hier gibt es mehr Informationen zum Wertungssystem.

Technische Daten

Lancia Thema 3.6 V6 VVT 24v Executive Automatik

Motor-Bauart:
Sechszylinder V-Motor, DOHC, Multipoint Einspritzung
Hubraum:
3.604 cm³
Leistung:
210 kW / 286 PS bei 6.350 U/Min
Drehmoment:
340 Nm bei 4.650 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
240 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
7.9 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
13.9 L / 6.7 L / 9.4 L E10 (ROZ 95)

Grundpreis Lancia Thema 3.6 V6 VVT 24v Executive Automatik:
50.900
Testfahrzeugpreis:
53.200
Testverbrauch:
12.9 Liter / 100 km über 1.582 km
Leergewicht:
1.876 kg
Max. Zuladung:
483 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
5.066 mm / 1.902 mm / 1.488 mm

Autor Sebastian

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

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