Bevor ich kürzlich den neuen Audi S3 fahren durfte, hatte ich auch Gelegenheit, einen Blick auf den neuen Audi RS6 zu werfen. Wobei „einen Blick darauf werfen“ eher untertrieben ist. Denn das Event, auf dem beide Fahrzeuge vorgestellt wurden, fand am Flughafen München statt. Gut für mich, denn es ist gerade „ums Eck“ und noch viel besser: meine persönliche passion:driving Teststrecke ist in greifbarer Nähe. Die Mission war also klar: rein in den Kombi und ab zur Teststrecke!

Audi RS6 Avant

Dabei war erst einmal aber wichtig, das „richtige“ Auto zu wählen. Gut, alle RS6, die vor dem Audi Forum am Flughafen aufgereiht waren, sind vor allem mit einem ausgestattet: Power satt! 412 kW (560 PS) und ein bäriges Drehmoment von 700 NM preschen bei Bedarf eine ganze Familie mit voller Urlaubsausrüstung in Richtung 300 km/h. Die 305 km/h gibt es allerdings nur mit optionalem „Dynamikpaket plus“. Und genau auf diese Ausstattung war ich scharf. Nicht wegen der 305 km/h, die wären um die Zeit im Münchener Berufsverkehr auf der A99 ohnehin nicht zu knacken gewesen, sondern wegen der Keramikbremse. Denn trotz des regnerisch kalten Wetters an dem Tag, ist eine konstante Bremsleistung gefragt, auf der Strecke gingen schon genug andere Bremsanlagen auch bei winterlichen Temperaturen in die Knie.

Audi RS6 Avant

So ging es also erst einmal um München herum in Richtung Süden, bereits hier kann der RS6 besonders punkten: auf der Autobahn ist vom Triebwerk nichts wahrzunehmen. Ob man das nun bei einem Biturbo-V8 unbedingt will, sei dahingestellt. In Anbetracht dessen, was der RS6 aber vor allem sein will, nämlich ein hervorragender Reisegleiter, macht das mehr als Sinn. Außerdem ist so wohl bestmöglich sichergestellt, dass die Passagiere vom 4-Zylinder-Betrieb der Zylinderabschaltung „Cylinder on Demand“ möglichst nichts mitkriegen. Aber das ist fast unnötig, denn im wunderschön edel und komfortabel gestalteten Innenraum des RS6 vergisst man ohnehin fast die Welt um sich herum. Die traumhaft im Rauten-Look gesteppten Ledersitze sind nicht nur bequem, sie bieten auch guten Seitenhalt. Dazu sortiert die 8-Gang tiptronic die Gänge im Comfort-Modus des „Drive Select“ butterweich und sanft, der Abstandsregeltempomat arbeitet nahezu unspürbar und das Fahrwerk gleitet sanft selbst über fiese Querfugen.

Audi RS6 Avant

Apropos „Drive Select“: im Gegensatz zu S3 oder anderen Kollegen, sind die verschiedenen Fahrprogramme nicht über einen zentralen Knopf in der Mittelkonsole, sondern nur über das MMI erreichbar – schade eigentlich. Und wo wir schon beim Meckern und Drive Select sind: wer auf der Autobahn entspannt reisen möchte, sollte tunlichst den „Dynamic“-Modus in keinster Form in Erwägung ziehen, denn mit Komfort ist es dann definitiv vorbei: das Fahrwerk wird knüppelhart und hat auf kurzen Wellen auf der Autobahn mit dem hohen Gewicht zu kämpfen, immerhin auch gerade über 2 Tonnen. In der Folge hoppeln und schaukeln die Insassen über die Bahn, wie ein 19-jähriger, welcher gerade zum ersten Mal stolz einen 8-Zentimeter-Tieferlegungsfedernsatz in seinem Polo 86c verbaut hat und sich wundert, warum die Seriendämpfer das nur im Ansatz so toll finden, wie er selbst.

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Damit sind wir auch schon gleich bei einem Problem des RS6 Avant, zumindest aus fahrdynamischer Sicht: auch auf der fahrwerkstechnisch höchst Anspruchsvollen Teststrecke wollte die Dynamic-Charakteristik nicht so recht funktionieren, stellenweise wurde das Setup damit einfach zu hart. Das mag auf topfebenen Rennstrecken gut funktionieren, auf echten Landstraßen aber eher nicht. Die Normale-Dämpferstufe hingegen war etwas zu weich und ließ die vorher erfahrene Präzision in engen Kurven vermissen. Packen wir aber das Problem bei der Wurzel: der RS6 Avant ist mit seinem Dimensionen und seiner Masse nicht gerade optimal auf der Landstraße aufgehoben und insofern ist jeder Schritt in Richtung Sportlichkeit immer nur ein Kompromiss, auch wenn man bei Audi sicher lieber Konsens sagen wollen würde. Das macht aber nichts, der Audi RS6 Avant soll kein eiskalter Racer für die Rennstrecke sein und das ist ok.

Audi RS6 Avant

Was Audi dahingegen hervorragend für den RS6 optimiert hat, ist die gesamte Kraftübertragung: dem quattro-Allradantrieb wurde mit einer 40-60 Auslegung klar der Fokus auf die Hinterachse gelegt und das macht sich spürbar bemerkbar. Gerade bei nassen Bedingungen wird der Ritt im RS6 damit sehr unterhaltsam, wenn man beim Einlenken in die Kurve zuerst ein leichtes Untersteuern verspürt, auf’s Gas geht, das Heck sanft eindreht, das Fahrzeug in Richtung Kurvenradius korrigiert wird, ehe der Allrad die Kraft dann gleichmäßig auf alle vier Räder verteilt, um maximalen Vortrieb zu erzeugen. Es ist einfach ein Traum, alleine weil dieses Eindrehen des Hecks progressiv und sanft vonstatten geht und einen kurzen Augenblick später alles auf maximalen Vortrieb steht – denn auch der Richtungswunsch ausgedrückt durch den Lenkwinkel, spielt eben in die Kraftverteilung des quattros mit ein.

Audi RS6 Avant

In der Summe fährt sich der RS6 damit trotz des oben erwähnten Kompromisses beim Fahrwerk höchst unterhaltsam. Dazu passt auch, was der RS6, insbesondere mit optionaler Sportabgasanlage, aus dem formschönen Kombi-Heck tönt. Kräftiges Ploppen beim Hochschalten, fiese Zwischengasfanfaren untermalt von frotzeligem gebrabble beim Herunterschalten, kräftiges gekrache bei Gaswegnahme. Die Musik „von hinten“ stimmt, von vorne allerdings ist selbst im Dynamic-Modus nahezu nichts davon wahrzunehmen. Und das ist mehr als schade, denn was soll ein wunderschöner V8-Biturbo unter meiner Haube, wenn ich ihn nicht hören darf, nicht mals dann, wenn ich es will?

Audi RS6 Avant

Fazit

Man merkt mir schon an, dass ich bei Fahrzeugen wie dem Audi RS6 Avant immer wieder in einen Zwiespalt gerate: Fisch oder Fleisch? Sportler oder Reiseschiff? Es ist und bleibt eben immer wieder ein Kompromiss. Immerhin die Komfort-Wertung kann der RS6 in jeglicher Hinsicht für sich gewinnen. Ob bei der Ausstattung, der Verarbeitung, der Geräuschkulisse oder dem Sitzkomfort – der RS6 ist einfach in jeder Hinsicht das, was man von ihm in dieser Kategorie erwartet – und wahrscheinlich sogar mehr. In Sachen Sportlichkeit zeigt sich dann aber der Kompromiss: ein auf Grund des hohen Gewichtes äußerst hartes Setup im Dynamic-Mode und ein Motor, der ganz bestimmt schöne Musik macht, sie aber nicht spielen darf, sind die größten Kritikpunkte. Dafür hat man aber trotz allem, alleine auf Grund des hecklastigen Allradantriebes, ein höchst unterhaltsames Setup und auch die Bremse war nicht in die Knie zu zwingen. Ansonsten, klar: alltagstauglich ist er. Und ja, die Familie passt auch rein. Und das Gepäck für einen ganzen Urlaub auch. Und soll es nach der Ankunft im Hotel dann mal schnell auf die Landstraßen gehen, ist er sich auch hierfür nicht zu fein. Wer ihn kauft kann sich in jedem Fall sicher sein, ein wunderschön gestyltes und hervorragend verarbeitetes Edelgefährt zu bekommen, mit dem man es auch mal zügig angehen lassen kann. Und die Performance der Bremse verspricht auch das ein oder andere mal einen Ausflug auf die Rennstrecke – was will man mehr?

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Technische Daten

Audi RS 6 Avant 4.0 TFSI quattro tiptronic

Motor-Bauart:
V8-Zylinder-Ottomotor mit Aluminium Zylinderkurbelgehäuse und Benzindirekteinspritzung, DOHC, Abgasturboaufladung, zwei Ladungsbewegungsklappen, bedarfsgeregeltes Hochdruck- und Niederdruck- Kraftstoffsystem, cylinder on demand, indirekte Ladeluftkühlung
Hubraum:
3.993 cm³
Leistung:
412 kW / 560 PS bei 5.700 U/Min
Drehmoment:
700 Nm bei 1.750 – 5.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
305 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
3.9 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
13.9 L / 7.5 L / 9.8 L SuperPlus (ROZ 98)

Grundpreis Audi RS 6 Avant 4.0 TFSI quattro tiptronic:
107.900
Testverbrauch:
17.5 Liter / 100 km über 130 km
Leergewicht:
2.010 kg
Max. Zuladung:
550 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4.979 mm / 1.936 mm / 1.461 mm

Disclosure zur Transparenz

Ich wurde von Audi nach München eingeladen. Reisekosten und Verpflegung wurden von Audi übernommen. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.


Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

1 Kommentar

  1. Hi,

    habe mit Interesse den Bericht gelesen, ebenso das Fazit. Ich beobachte das schon über eine längere Zeit in vielen Bereichen, nicht nur Autos, das die Hersteller es immer mehr versuchen mit einem Produkt mehreren Zielgruppen es recht zu machen. Bei Leuten die lieber klare Verhältnisse möchten führt das dann zu dem Ergebnis, dass sie nicht wissen ob das Auto Fisch oder Fleisch sein will. Diese Mischwesen werden noch öfters vorkommen, den kein Hersteller will mehr Risiken eingehen und eine klare Linie, die halt auch abgelehnt werden kann, präsentieren.
    Gruß Kai

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