Wie den meisten von euch bekannt sein dürfte, habe ich eine recht enge und intensive Beziehung zur Marke Lotus: nachdem ich mich als Kind bereits in die Lotus Elise verliebt hatte und über Jahre eine große Begeisterung für die Fahrzeuge aus dem Osten Englands entwickelte, konnte ich dieses Jahr die Gelegenheit nutzen und mir sogar selbst eine Elise in die Garage stellen. Und so trat ich mit Lotus in Kontakt, ob es nicht möglich sei, während meines Urlaubs in England, auch mal einen Blick dorthin zu werfen, wo seit 1966 in Handarbeit jeder Lotus entsteht.

Lotus-Werk Hethel

Schlechter hätte ich es mit dem Wetter natürlich nicht treffen können. War ich im Urlaub bis dahin noch mit wechselhaft bis gutem Wetter „gesegnet“ worden, zeigte sich ausgerechnet an diesem Tag das Wetter von seiner britischsten Seite. „Was soll’s“, dachte ich mir. „Britisches Wetter für britische Autos“. Überhaupt hätte es wohl nichts gegeben, was mir an diesem Tag die Stimmung hätte versauen können. Alleine die Anfahrt ans Gelände der Lotus-Fabrik war bereits außergewöhnlich emotional und die Vorfreude ließ meinen Puls in die Höhe schnellen, als ich das erste Schild mit dem Lotus-Logo, welches die Buchstaben des genialen Anthony Colin Bruce Chapman inneträgt, erspähte. Während ich an der Rezeption wartete, ließ ich den Blick über zahllose Reminiszenzen vergangener Tage schweifen.

Lotus Werk Hethel

1952 gründete Colin Chapman die Lotus Engineering Ltd. 1954 gründete sich hieraus das „Team Lotus“, unter dessen Flagge die Motorsporteinsätze liefen. 1957 wurde mit dem Lotus Seven die Produktion des Autos gestartet, welches wie kein anderes die Philosophie  verkörperte, hohe Performance durch niedriges Gewicht und Einfachheit zu erreichen. Noch heute werden verschiedene Reinkarnationen des Seven, wie z.B. der Caterham Seven oder die Donkervoort-Sportwagen gebaut.

Lotus Werk Hethel

1958 nahm mit dem Lotus 18 das erste Mal ein Lotus an einem Formel-1-Rennen teil. Chapman hatte mit dem 18 ein für ihn typisches Auto auf die Räder gestellt: extrem leicht und simpel. Die Karosserie wurde aus besonders leichten Body-Panels gebaut, welche an einen Gitterrohrrahmen genietet wurden. Das Fahrwerk wurde damals schnell zum Benchmark und selbst von den legendären Auto Union Fahrzeugen kopiert. Mit dem Lotus 25 gelang Lotus 1962 dann der Durchbruch. Colin Chapman erdachte sich etwas, was heute die Grundlage etlicher Sportwagen und nahezu aller Rennfahrzeuge ist: die Monocoque-Bauweise. Damit wurde das Fahrzeug mehr als 3 mal steifer, als der Vorgänger Lotus 21, während das Chassis nur die Hälfte wog. Zudem konnte das Fahrzeug besonders schlank und flach gebaut werden. Mit diesem revolutionären Fahrzeug wurde Jim Clark zwei mal hintereinander Weltmeister und ließ die Konkurrenz alt aussehen. Selbst im dritten Jahr wäre mit dem alten Fahrzeug – die Konkurrenz hatte längst mit neueren Entwicklungen versucht, Lotus einzuholen – ein Titel möglich gewesen, der Coventry Climax Motor hatte mit einem Ölleck allerdings andere Pläne.

Lotus Werk Hethel

Colin Chapmans Devise „add more lightness“ wurde allerdings auch oft kritisiert, zu radikal seien seine Versuche, noch mehr Gewicht zu sparen, die Sicherheit der Fahrer würde er völlig ignorieren. Obwohl seine Designs als besonders innovativ galten, ist auch die Liste der Top-Fahrer, die in einem Lotus ums Leben kamen oder schwer verletzt wurden, erschreckend: Stirling Moss, Alan Stacey, Mike Taylor, Jim Clark, Mike Spence, Bobby Marshman, Graham Hill, Jochen Rindt und Ronnie Peterson.

Bis zu seinem Tod 1982 blieb das Team Lotus aber dennoch stets erfolgreich, danach ging es mit dem Team Lotus, als auch Lotus Cars bergab. Die Rettung nach vielen durchwachsenen Jahren brachte im Jahr 1996 die Lotus Elise. Mit der Elise besann man sich wieder auf Chapmans Tugenden und entwarf ein Fahrzeug, das ganz dem Fahrspaß gewidmet war. Die Besonderheit lag im gerade einmal 65 kg schweren Aluminiumrahmen, welcher vorrangig geklebt wurde, weil dies im Vergleich zum Schweißen deutlich mehr Steifigkeit bietet. Zusätzlich wird der Rahmen genietet, um Beanspruchung der Klebestellen zu verhindern. Die Karosserie bestand aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Das Ergebnis war ein Mittelmotor-Roadster, welcher gerade knapp über 700 kg wog und zum Verkaufsschlager wurde.

Lotus Aluminiumrahmen

Bis heute sind die Zutaten bei allen aktuellen Lotus-Modellen die, der damaligen Elise: der Aluminiumrahmen ist, mit leichten Veränderungen in Sachen Crashsicherheit, immer noch der Gleiche. Elise, Exige, Evora. Alle werden sie in den Fabrikhallen von Lotus auf Basis dieses Alu-Rahmens von Hand zusammengebaut. Für mich ein spannendes Gefühl, hier zu stehen. Hier an dieser Stelle, an welcher auch mein Lotus vor 14 Jahren zum Leben erweckt wurde. Jedes Teil das hier liegt, jeder halb-fertige Lotus, welcher hier auf einem Gestell durch die Hallen gerollt wird, haben jetzt schon einen festen Besitzer. Auf Halde werden keine Fahrzeuge produziert, jeder Lotus entsteht erst auf Bestellung. „Built to order“ nennt sich das. Und irgendwie habe ich damit das Gefühl, dass auch jedes Fahrzeug hier bereits, in diesem frühen Stadium eine Seele hat, eine Geschichte.

Lotus Werk HethelDer Aluminiumrahmen ist auch das erste, was man hier im Werk von einem Lotus sehen kann. Der Rahmen ist für Exige, Elise und Evora im Grunde genommen gleich. Abhängig vom Modell wandern dann vorne und hinten unterschiedliche weitere Elemente an den Rahmen ran. So bekommt die Exige beispielsweise hinten eine veränderte Aufnahme für Motor und Aufhängung, während beim Evora auch vorne der Rahmen verändert wird, um eine größere Spurweite und einen längeren Radstand zu ermöglichen.

Lotus-Werk HethelSelbst lackiert wird hier noch von Hand, Roboter sucht man in den Lotus-Hallen vergebens – alles beim alten. Aber an der Qualität will man kräftig geschraubt haben. Nachdem Dany Bahar die Firma vor wenigen Jahren mit einer völlig überzogenen Modelloffensive fast in den Ruin getrieben hätte, will das neue Management wieder Fahrzeuge bauen, welche sich auf den Kern der Marke fokussieren, aber auch gleichzeitig hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden sollen. Und so wird jeder neue Lotus nicht nur, wie früher bereits, auf der hauseigenen Rennstrecke und benachbarten Landstraßen testgefahren, sondern auch intensiv in mehreren Lichttunneln genauestens begutachtet und – man mag es kaum glauben – in einem Regentunnel sogar auf seine Dichtigkeit geprüft.

Lotus Werk HethelUnd die Mitarbeiter? Die sind merklich stolz auf das, was hier jeden Tag entsteht. Selbst jetzt – oder auch gerade weil die Firma so schwere Zeiten durchgemacht hat und sich erst jetzt wieder langsam aufrappelt. „Oh, wait a second, I’ll move that stuff away so you can take better pictures!“, spricht mich plötzlich ein Arbeiter an und schiebt hastig ein paar Rollcontainer zur Seite, damit ich ein ungestörtes Foto von der Lackierstation machen kann.

Lotus-Werk HethelÜberhaupt, verstecken möchte man hier nichts und man freut sich offenbar über meinen Besuch. Viele Mitarbeiter sprechen mich an, fragen mich, worüber ich schreibe und wo das ganze zu lesen ist, um sich dann anschließend an die Hochzeit zu machen und wahlweise den Toyota-Vierzylinder oder V6 haarscharf ins Chassis zu pressen. Dabei läuft die Hochzeit hier weit weniger Spektakulär ab, als beim typischen Fahrzeugbau: der Motor findet hier bereits sehr früh den Weg ins Chassis, da das sonst viel zu verbaut wäre. Beim Großserienhersteller am Band laufen das fertige Chassis inklusive Motor und die Karosserie einfach zusammen, hier bei Lotus ist zum Zeitpunkt der Hochzeit von Karosserie noch nichts zu sehen.

Lotus-Werk HethelSind Body-Panels, Scheiben und Innenausstattung erst einmal an Ort und Stelle, ist der Lotus auch schon fast vollständig. In einem ersten Lichttunnel wird geprüft, ob äußerlich soweit alles stimmt. Dann wird das Fahrzeug mit Flüssigkeiten befüllt und ein erstes Mal am Prüfstand getestet. Anschließend kommt der Regentunnel und die Fahrt auf Rennstrecke und Landstraße. Erst dann kommt der Lotus ein letztes Mal in einen extra hellen Lichtbereich. Der Mann, der hier arbeitet wird von niemandem gestört. Er führt die letzte Kontrolle durch, lässt sich noch einmal ganz auf das Auto ein und alle wissen: in diesem Bereich herrscht absolute Stille.

Erst wenn diese Kontrolle durch ist, darf der Wagen den Weg zu seinem stolzen neuen Besitzer finden. Selbstverständlich durfte auch ich mir einen Eindruck von den aktuellen Modellen verschaffen und hatte die Gelegenheit, Exige S Roadster und Evora S auf der Lotus-eigenen Rennstrecke zu bewegen. Diese Artikel werden dann in Kürze folgen. Danke an Lotus in Hethel und auf dass das Massensterben der Kleinserienhersteller an dem legendären Hersteller aus Norfolk vorbeiziehen möge – soviel ist klar: die Zeichen stehen auf Angriff, es geht aufwärts!

Lotus-Werk Hethel

 

 


Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

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