Von der Aussicht hier oben am Col de Méraillet hinunter auf den Barrage de Roselend war kaum genug zu bekommen. Die Route des Grandes Alpes hat uns schon jetzt gefesselt, soviel ist klar. Landschaftlich zieht einen diese ganze Tour schon am ersten Tag in ihren Bann. Dieser unter uns liegende Stausee war da wohl auch nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ein Highlight war er aber fraglos.

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Pass #6: Cormet de Roselend, 1.967m

Aber wir hatten eben auch nicht unendlich Zeit, also mussten wir auch diesen Ort wieder verlassen, an dem die D902 hier oben am Col de Méraillet fließend in die Passstraße zum Cormet de Roselend übergeht. Und wie sie das tut. Ein beeindruckendes Stück Straße, das sich von hier leicht bergab um den Stausee herumschlängelt, unter welchem die Ortschaft Roselend begraben wurde. Am tiefsten Punkt der Straße hat man weiten Blick über die gesamte Länge des Sees. Für solche Nebensächlichkeiten blieb am Steuer aber kaum Zeit, zu spektakulär windet sich die Straße hier an den Hügeln um den See herum, zu häufig feuert man die Gangwechseltonleiter im Audi R8 mit einem heiseren Bellen auf und ab. Auf der anderen Seite des Sees angekommen, nimmt sie gleich wieder Höhe auf, Zeit zum Verschnaufen bleibt keine. Der R8 und der RS5 dürfen ganze Arbeit leisten.

#thepluses2 - Col de Meraillet | Route des Grandes Alpes | Barrage de Roselend

Die Straße ist schmal und verläuft eng an der Felswand entlang. Auf der anderen Seite: nichts, nur der weite Blick über den See. Und genauso weit posaunten die beiden Sportmotoren auch ihr Lied ins Land, von der schroffen Felswand reflektiert und ohne Einschränkung in voller Lautstärke über den ganzen See. Von dieser Lage aus dürfte man uns über den gesamten See hinweg gehört haben. Die Straße macht eine Kehre, ein Wasserfall lenkt kurz den Blick auf sich und dann folgt ein Stück, das Präzision vom Fahrer fordert: Einige hundert Meter folgt die Straße der Felswand, der gesamte Straßenverlauf ist einsehbar. Und trotzdem schlängelt sich das Asphaltband sanft an der Wand entlang. Die Herausforderung liegt in diesen sanften Kurven und der engen Streckenbreite. Gas, erster Gang, zweiter Gang, dritter Gang. Links, rechts, links, rechts. Dann folgt ein schärferer Linksknick, der sofort aber wieder nach rechts abweicht. Kurz scharf anbremsen, einlenken, einen möglichst flachen Winkel wählen und das Auto sofort wieder auf Zug halten. Die große Freude über kleine Details. Was so simpel aussieht und so simpel klingt, sorgt, wenige Zentimeter an der Felswand entlang – ohne Spielraum in irgendeine Richtung – für ein echtes High, es berauscht regelrecht.

#thepluses2 - Cormet de Roselend | Route des Grandes Alpes

Nach rechts geht es nun wieder in die Berge hinein und wieder einmal wähnt man sich in einer anderen Welt: vergessen ist der See. Plötzlich wird die Straße zu einem asphaltierten Feldweg und die wahre Bedeutung dieser Straße wird einem schlagartig bewusst: es gibt keine. Sie hat höchstens die Bedeutung, die wir ihr geben: Fahrspaß. Für uns. Und sonst nichts. Nach wenigen Kilometern über eine zerklüftete Hochebene ist dann auch die Passhöhe des Cormet de Roselend erreicht. Zeitgleich erreicht uns auch der Regen. Und wie. Es gießt wie aus Kübeln. Wir springen schnell ins Auto und folgen der Route weiter, es folgen einige weniger spektakuläre Serpentinen.

#thepluses2 - Cormet de Roselend | Route des Grandes Alpes

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Auf dem Weg hinunter schließen wir allmählich zu einem Maserati Granturismo auf. Während wir gerade eine Serpentine anbremsen, beschleunigen die Jungs darin gerade wieder heraus. Unsere Blicke treffen sich, wir grinsen und rauschen von da an im Formationsflug den Pass hinunter. Weiter unten angekommen setzt er den Blinker rechts, hält an. Wir unterhalten uns kurz und fahren weiter. Unser Ziel für den heutigen Abend lautet Bourg Saint Maurice, eine verträumte Gemeinde im Departement Savoie, Ausgangspunkt für gleich drei spektakuläre Pässe: dem Col de Roselend, dem (nicht zur RDGA gehörenden) Col du petit Saint-Bernand. An Zelten war bei dem Wetter nicht mehr zu denken, wir brauchten also eine andere Lösung und die fanden wir, nach kurzer Suche, in einem kleinen unscheinbaren Hostel. Das Loft Mountain Hostel, geführt von einem jungen, britischen Pärchen, sollte es unsere Zuflucht werden. Die beiden empfingen uns unwahrscheinlich herzlich und zeigten uns kurz ihr Hostel. Ein schön modern eingerichtetes Haus mit einem modernen Gemeinschaftsraum, einer großen Gemeinschaftsküche und vor allem aber: Duschen. Die konnten wir mehr als gebrauchen. Und nach der vorigen Nacht am Campingplatz und einer Dusche bei gefühlten 5° Außentemperatur, kam uns diese Gelegenheit gerade recht. Zumal: kaum hatten wir unsere Sachen im Haus, regnete es in heftigsten Regengüssen. Nein, Camping wäre eine ganz, ganz blöde Idee gewesen.

Tag 2: Spekakulärer geht immer!

Der nächste Morgen lockte nicht mit besserem Wetter. Nebelschwaden zogen über die Berge, von den Gipfeln und dem sagenumwobenen Skigebiet war kaum etwas zu sehen. Dabei sollte jetzt eigentlich das Highlight der Route folgen: der Col de l’Iseran. 2.764 Meter und damit der höchste überfahrbare Pass der Alpen. Sicher, es gibt höhere Straßen, aber meist sind es Sackgassen. Der Titel für den höchsten Pass geht eindeutig an den Iseran. Klar ist uns aber auch: vielleicht werden wir Pech haben, vielleicht ist der Iseran noch gar nicht geöffnet. Egal, der frühe Vogel fängt den Wurm. So ging es später ins Bett und früher wieder auf die Beine, denn das Programm war straff. Schlafmangel und der hohe Arbeitsaufwand für die Filmarbeiten forderten aber schon ihren Tribut: die Stimmung war angespannt. Den Königsweg, wie wir unsere Aufnahmen sammeln wollen, hatten wir nämlich noch nicht gefunden. Noch dazu ärgerte uns das schlechte Wetter, es grenzte also schon an ein kleines Wunder, dass wir uns nicht angefaucht haben. Neuer Tag, neues Glück war aber die Ansage. Mit einer neuen Vorgehensweise für die Dreharbeiten und einem Fokus auf das Wesentliche, starteten wir in Tag 2.

Pass #7: Col de l’Iseran, 2.764m – höchster aller Alpenpässe

Die Auffahrt zum Iseran verlief alles andere als spektakulär. Sicher, die ein oder andere schöne Kurve tut sich auf der breiten, von regem LKW- und Busverkehr befahrenen Straße vor einem auf, aber die passende Stimmung will nicht so recht aufkommen, die Vorfreude sorgte dennoch für knisternde Atmosphäre. Trotzdem blieb die Frage: wo kam denn eigentlich all dieser Verkehr her? Die Antwort sollten wir knapp unter 2.000 Metern bekommen. Nach einer Baustelle zur Sanierung einer Galerie, machte die Straße einen Knick nach links, um den Berg herum, bog ein in ein zwischen den Berggipfeln verlaufendes Tal. Und da war sie vor uns, die Antwort auf die Frage nach dem Verkehr. Val-d’Isère, ein riesiger Skiort zugepflastert mit einem auf das nächste folgende Hotel. Dabei wirkt das alles vielmehr wie ein großer Themenpark, die Hotels wie Kulissen. Man will hier offenbar jedes Klischee für jedes Klientel bedienen. Das hat sicher seinen Reiz, aber authentisch wirkt das alles irgendwie nicht – ich bin froh, aus dem Ort wieder herauszukommen.

#thepluses2 - Val de'l Isere

Dahinter leert es sich schlagartig, die Straße wird schmal, der Schnee ist allgegenwärtig. Wenig aufregend zieht sich die Straße steil den Berg hinauf, bis wir schließlich an einer Straßensperre ankommen. „ROUTÉ BARRÉE“ sagt uns das Schild am Pont St. Charles. Uns wird das erste Mal klar: das könnte für uns die Rückkehr bedeuten. Wollen wir das Risiko eingehen? Eigentlich wollen wir ja nichts auslassen. Wir steigen aus und diskutieren. Ausgiebig. Und lang. Obwohl von der Sonne kein noch so kleines Bisschen zu sehen ist, brennt sie spürbar auf der Haut. Eigentlich müsste mir in meinem Pulli kalt sein, aber ich schwitze.

#thepluses2 - Col de l'Iseran | Pont St Charles | Route des Grandes Alpes

Hier oben auf über 2.000 Metern herrscht bereits Totenstille, die schlagartig vom angestrengten Nageln eines Dieselmotors zerschnitten wird: ein Räumfahrzeug nähert sich uns und bleibt an der Sperre stehen, um sie zu öffnen. Wir versuchen den Fahrer zu befragen und herauszukitzeln, wie weit man kommt, ob es eventuell einen Weg über den Pass gibt. So kurz vor der Öffnung sind die Straßen ja meist schon geräumt, aber noch wegen der ein oder anderen kleinen Ausbesserungsarbeiten gesperrt. Aber außer „barrée, barrée“ und einem Kopfschütteln bekommen wir keine hilfreiche Antwort von dem Fahrer. Er klettert in sein mit Schneeketten ausgerüstetes Räumfahrzeug, fährt durch die Absperrung hindurch, stellt die Barrieren wieder zusammen und kriecht Serpentine um Serpentine den Berg hinauf. Während wir uns weiter den Kopf zerbrechen, kommen zwei Motorradfahrer an uns vorbei. Im Gegensatz zu uns zögern die aber kein bisschen und fahren durch die Absperrung hindurch.

#thepluses2 - Col de l'Iseran | Pont St Charles | Route des Grandes Alpes

Wir überlegen noch kurz, wägen den möglichen Zeitverlust ab und klettern dann doch wie euphorisiert zurück in unsere Autos – ohne zu wenden. Wir zwängen uns durch die Absperrung hindurch und folgen der Straße. An Schnellfahren ist nicht zu denken, die weiße Pracht macht sich hier immer mehr auch auf der Straße breit. Noch ist das selbst für die Sommerreifen kein Problem und noch reicht die Schneehöhe auch nicht aus, um den R8 in Probleme mit der Fahrwerkshöhe zu bringen. Per Funk wechseln wir uns ständig mit der Frage „Weiter?“ – „Weiter!“ ab, so ganz sicher ist sich keiner von uns mehr, aber zurück wollen wir eigentlich auch nicht. Allmählich macht sich auch die Sorge vor einem eventuellen Wendemanöver breit. Viel Platz ist hier nicht, da bleiben höchstens die Engen Serpentinen als Rangiermöglichkeit. Nach einigen Höhenmetern mehr kommt uns dann ein Q5 entgegen. An ein Weiterkommen sei da oben nicht zu denken, sagt er. Er quetscht sich an uns vorbei, wir bleiben aber noch stehen und überlegen: weiterfahren? Währendw wir stehen, kommen uns dann allerdings schon die beiden Biker auf ihren Reiseenduros entgegen. Sie halten kurz an, sagen uns, dass sie vor der Lawinengefahr gewarnt wurden und dass da oben definitiv kein Durchkommen sei.

Mein erster Gedanke: besser mal den Sportknopf ausmachen. Lawinengefahr und die Klanggewalt des Zehnzylinders in meinem Nacken sind keine gute Kombination, also besser die Klappen in der Auspuffanlage schließen. Wir entscheiden uns, doch noch einige Meter weiterzufahren, bevor auch wir einsehen müssen: der Schnee hat uns geschlagen. Keine Chance, alles andere wäre unnötiges Risiko. Wir lassen uns im Rückwärtsgang in die letzte Serpentine hinunterrollen, steigen aus, um dort den Schnee nach möglichen Hindernissen abzusuchen und starten ein Wendemanöver-Ballett in gefühlten 20 Zügen. Der Iseran hat uns in die Schranken gewiesen. Ja, wir waren einfach ein Stückchen zu früh dran. Eine Woche später hat er dann letztlich aufgemacht, aber hier, in der letzten Maiwoche, war es einfach noch zu früh.

Jetzt sollte uns stattdessen ein riesiger Umweg erwarten. Unser Tagesplan war nicht mehr zu halten und unsere erste Recherche im Netz ergab: auch der nächste Pass, der Galibier, war noch geschlossen. Wir verzichteten also darauf, die Verbindungskilometer zwischen den beiden auch zu fahren, nur um möglichst alle RDGA-Kilometer mitzunehmen. Unsere ursprüngliche Planung für den Tag war nun ohnehin Geschichte, unser Tagesziel würde ein ganz anderes sein. Die Frage nach der Unterkunft damit auch völlig offen. Keine guten Vorzeichen, wenn man schon früh am Tag weiß, dass der gesamte Tag eine Überraschungskiste wird. Der Tag sollte aber viel mehr für uns bereithalten…

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

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