Die wohl für mich spannendste Neuheit in Genf kommt definitiv aus Schweden: Der Koenigsegg Regera ist eine kleine technische Revolution, wenn man es so will. Nicht wegen seiner rund 1.500 PS. Nicht, weil er aus dem Stand in unter 20 Sekunden auf 400 km/h sprinten soll. Sondern, weil dieser Hybrid-Sportwagen ohne Getriebe fährt!

Koenigsegg Regera

Zu diesem Artikel gibt es ein Update, welches ihr am Ende des Artikels findet!

Kupplung und Getriebe. So kennen wir unsere Autos. Warum das ganze? Einerseits, weil ein Verbrennungsmotor eine Anfahrhilfe braucht, denn erst oberhalb von 600 Umdrehungen kann ein er selbstständig in Betrieb bleiben. Zudem ist die Spreizung Zwischen Geschwindigkeit und Drehzahl zu hoch und noch vor allem: ein Motor sollte eben in dem Bereich bewegt werden, in welchem er seinen optimalen Wirkungsgrad und seine Leistung am besten entfalten kann. Dieser Bereich hierfür ist heutzutage dank aufgeladener Motoren bereits sehr breit und dank Getrieben mit immer mehr Gängen, wie aktuell die ZF HP9 9-Gang-Automatik, kann auch immer häufiger in diesem Bereich gefahren werden.

Torque-Fill auf die Spitze getrieben

Mit der Ära der neuen Hybridsportwagen vom Schlage eines McLaren P1, wurde ein neuer Begriff eingeführt. Der sagt aus, dass ein Elektromotor dem Verbrenner immer dann zur Hilfe eilt, wenn sich dieser in einem Drehzahlbereich befindet, in welchem ein gewünschtes SOLL-Drehmoment noch nicht erreicht werden kann. Nehmen wir mal an, wir haben – wie im P1 – einen doppelt aufgeladenen Verbrennungsmotor, der erst ab (rein hypothetisch, ohne die genaue Drehzahl zu kennen) 2.000 Umdrehungen sein volles Drehmoment zur Verfügung stellt und auch nach jeder Gaswegnahme einen kurzen Moment braucht, ehe die Turbolader genug Ansaugluft komprimiert haben, um mit maximalem Ladedruck wieder volles Drehmoment bereitzustellen. Immer dann springt der Elektromotor ein und füllt den Unterschied zwischen SOLL und IST der Drehmomentkurve mit seinem eigenen, sofort bereitstehenden Drehmoment aus. Torque-Fill nennt sich das dann.

Also dachte sich der gute Christian von Koenigsegg: Warum nicht auf ein Getriebe verzichten und Elektromotoren für genau das einsetzen, was bisher durch ein Getriebe erledigt wird. Und damit sind wir auch schon wieder beim Koenigsegg Regera. In dem verrichtet ein 5.0-Liter-V8 mit Biturbo-Aufladung seinen Dienst. Ohne Getriebe braucht’s also freilich eine Anfahrhilfe. Für diese Aufgabe dienen zwei Elektromotoren, je 200 kW stark, einer pro Hinterrad. Mit je 350 Nm ist dort genug Drehmoment vorhanden, um ausreichend flott loszufahren. Folglich fährt der Regera auch immer nur rein elektrisch an. Ab ca. 40 – 50 km/h schließt dann eine hydraulische Kupplung und bindet den Verbrenner direkt mit einer Untersetzung von 2,85:1 an den Achsantrieb an.

Koenigsegg Regera Antriebsstrang
© Koenigsegg

Der Motor läuft nun mit einer Drehzahl von knapp über 600 Umdrehungen pro Minute natürlich noch lange nicht im optimalen Arbeitsbereich. Zwar leistet der Biturbo-V8 ab 2.700 bis 6.170 Umdrehungen stramme 1.000 Nm Drehoment, in der Spitze, bei 4.100 U/Min, sogar 1.280 Nm, doch die Kluft zwischen 600 und 2.700 Umdrehungen will erst einmal überwunden werden. An dieser Stelle kommt ein dritter Elektromotor ins Spiel, welcher direkt auf die Kurbelwelle wirkt. Dieser leistet 165 kW und 400 Nm Drehmoment und sorgt für das oben angesprochene Torque-Fill, um die vom Verbrenner ausgehende Drehmomentlücke zu füllen. Ab etwa 120 – 130 km/h erreicht der Verbrenner dann allmählich die 2.700 U/Min-Marke und kann von nun an seine volle Leistung bereitstellen.

Fish-Tail-Auspuff für die passende Akustik

Ab hier dreht das Maschinchen mit direkter Antriebsverbindung munter auf die 8.250 Umdrehungen zu, um dort im Begrenzer Halt zu machen. Welche Geschwindigkeit dann am Tacho anliegt? Knapp unter 410 km/h. Im Detail sorgt diese Konstruktion für völlig weltfremde Leistungsdaten: 0 auf 100 km/h in 2,8 Sekunden. Aus dem Stand auf 300 km/h? 12,3 Sekunden. Die 400 km/h-Marke? Wird in „unter 20 Sekunden“ erreicht. Über 1.500 PS liegen kombiniert maximal an und zwischen 2.500 und 7.000 Umdrehungen schieben gigantische 2.000 Nm Drehmoment in Richtung Horizont!

Da der Motor bei maximaler Drehzahl natürlich nur entsprechend selten bewegt werden kann, hat der Regera zudem einen so genannten Fish-Tail-Titaniumauspuff. Nein, wir sprechen hier nicht vom dicken, breiten mittig angeordneten Endrohr. Denn das dient als Abluftkanal für die Elektromotoren. Die Endrohre der Auspuffanlage sind im Heckdiffusor integriert und sorgen dank ihrer Fishtail-Bauweise für spezielle Resonanzen wodurch die Drehzahl akustisch verdoppelt wird – ein laut Koenigsegg sehr wichtiges Detail, wenn man das Fahrzeug eben nur selten bei maximaler Drehzahl genießen kann. Und wenn es sein muss, kann man den Regera auch bis zu 50 Kilometer weit rein elektrisch bewegen.

Der Vorteil der gesamten Konstruktion? Der Wirkungsgrad wird deutlich gesteigert. Denn selbst mit modernen Doppelkupplungsgetrieben summieren sich die durch Mechanik, Reibung und thermische Faktoren verursachte Antriebsverluste auf 10-15%. Koenigsegg spricht bei „Autobahngeschwindigkeit“ gar von bis zu 50% geringeren Antriebsverlusten im Vergleich zu herkömmlichen Getrieben. Und klassische Hybridsysteme müssen zudem auch noch mit komplexer Technik und daraus resultierendem hohem Gewicht oder der aufwändigen Energieumwandlung Federn lassen.

Carbon und ein leichtes Batteriepaket

Um auf das verhältnismäßig geringe Gewicht von 1.628 kg Leergewicht zu kommen – das Trockengewicht liegt bei 1.420 kg – wurden zudem spezielle Akkus verbaut, welche im Verhältnis zur Leistung ein besonders niedriges Gewicht aufweisen sollen. Koenigsegg spricht gar vom besten Gewicht im Verhältnis zur Akkuleistung, im Vergleich zu allen Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Rund 125 kg wiegt das Akkupaket mit seiner Kapazität von 9,24 kWh, das sowohl an der Steckdose, als auch vom an der Kurbewelle montierten Elektromotor als Generator geladen werden kann. Neben dem kompletten Carbon-Monocoque und Kohlefaserkleidchen, rollt der Regera zudem auf Carbon-Felgen im 19- und 20-Zoll-Format (vorne/hinten).

Koenigsegg Regera Carbonfelgen

Ansonsten hat man wohl vor allem Wert darauf gelegt, den Regera als „GT“ verstanden zu sehen. Mehr Luxus, mehr Komfort, bessere Geräuschdämmung, aktive Motorlager und ein innovatives Touchscreen-Display, das weder kapazitiv noch resistiv arbeitet, sondern Berührungen mittels spezieller Infrarottechnik erkennt und damit sehr fein, schnell und sensibel reagieren soll.

Die Zukunft des Hybrid?

Haben wir es hier also mit der Zukunft des Automobilbaus zu tun? Der Ansatz ist auf jeden Fall interessant. In der Massenproduktion wird aber wohl eher die Herausforderung sein, dass auf der einen Seite das Packaging funktionieren muss und da sehe ich gerade beim durchschnittlichen Klein- oder Mittelklassewagen eher Nachteile. Andererseits schafft das fehlende Getriebe auch wieder viel Platz und kann auf Grund der fehlenden Antriebsverluste den Wirkungsgrad erheblich steigern. Auf der anderen Seite scheint ein gewisses Leistungsniveau des Verbrenners für den direkten Antrieb sinnvoll. Allerdings haben wir heutzutage bereits aufgeladene Motoren mit einem so breiten Drehzahlband und so kräftige, kompakte Elektromotoren – warum also nicht?

In einer anderen Form gibt es ein ähnliches Antriebskonzept übrigens bereits im Mitsubishi Outlander Plugin-Hybrid. Der hat auch kein Getriebe und lebt eigentlich einzig von seinen drei Elektromotoren. Der Verbrenner kann auch direkt die Vorderachse antreiben, dient aber primär dazu per Generator die Batterien zu laden und nicht als vorwiegende Antriebseinheit. Mehr dazu könnt ihr beim Bjoern nachlesen, der zur Zeit einen Outlander Plugin-Hybrid als Dauertester bewegt.

Ab Ende 2015 soll die Produktion für den Koenigsegg Regera übrigens starten, in rund einem Jahr (also März 2016) sollen dann die ersten Fahrzeuge ausgeliefert werden. Eine Kapazität von 80 Fahrzeugen in den nächsten 5 Jahren planen die Schweden.

Einen detaillierten Einblick inklusive einen Blick auf das Infotainment bietet euch übrigens noch dieses Video von Shmee150 im Gespräch mit Christian von Koenigsegg:

Ein abschließender Hinweis: während der Pressekonferenz nennt Christian von Koenigsegg andere Leistungsdaten für die E-Motoren, als auf der Website verzeichnet. Ich habe mich an den Daten aus der PK orientiert, werde aber versuchen, von Koenigsegg da noch eine konkrete Aussage zu bekommen.

// UPDATE

Ich habe nun auch bereits Antwort von Koenigsegg erhalten, woher die Differenzen bei den Zahlen stammen. So sind die Werte aktuell noch nicht genau zu beziffern, da das Fahrzeug noch in der Erprobung ist, die finalen Werte sollen denen in der Pressekonferenz zitierten Zahlen aber „sehr ähnlich“ sein.

Text: sb
Fotos: Jens Stratmann


Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

57 Kommentare

  1. Da fehlt was in der Beschreibung. Das fährt so nicht auf Dauer. Der sogenannte Torque Fill Motor sitzt direkt an der Kurbelwelle. Dahinter kommt die Kupplung. Bei langsamer Fahrt muss der Motor an der Kurbelwelle als Generator laufen um die kleine Batterie voll zu halten und die Antriebsmotoren zu versorgen. Erst wenn Die Drehzahl des Motors zur Geschwindigkeit passt kann eingekuppelt werden und nur wenn die Batterie in dem Moment voll ist kann der Generator zum Hilfsmotor werden. Schade, dass an der Vorderachse nichts ist. Da könnte man beim Bremsen viel Energie zurückholen und beim Beschleunigen noch helfen.

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