Ein Ausflug in die tiefste Schweiz sollte genug Möglichkeit bieten, die Allrad-Modellpalette der Japaner auf Herz und Nieren testen zu können? Denkste! Denn auf der einen Seite gab es ein eher sehr knapp bemessenes Zeitbudget. Auf der anderen Seite war auch das Kontingent der weißen Pracht – sagen wir mal – begrenzt.
Nissan Snow Experience Samedan

Blöd, wenn man sich mit verschiedenen Allradsystemen austoben möchte und dann aber die letzten Tage nur eines war: Sonnenschein. Ohne Schnee. Um trotzdem das Beste aus der Situation zu machen, wurde die Strecke am Vorabend Schicht für Schicht mit Wasser besprüht, um die daraus über Nacht entstehende Eisschicht am nächsten Tag auffräsen zu können. Ja, das funktioniert, aber eben nur für ein paar Durchgänge, bis die Oberfläche von schlupfgeplagten Reifen wieder völlig glattpoliert wird.

Wenn das der Fall ist, dann gerät alles außer Kontrolle. Ohne Spikes misst Du nicht mehr den Driftwinkel, sondern die Anzahl Pirouetten. Mit chirurgischem Feingefühl entscheidet da jedes Hundertstel-Grad Lenkwinkel über die Position der Vorderräder im Kamm’schen Kreis: drinnen und alles wird gut oder draußen und damit konsequent untersteuernd.

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Vorteilhaft also, wenn’s ein Allradsystem an Bord hat, mit welchem Lenkbefehle alternativ auch per Gaseinsatz an der Hinterachse umgesetzt werden können. So in der Theorie etwa beim Nissan Juke. Dessen Allradantrieb, der leider nur in Kombination mit einem stufenlosen Getriebe erhältlich ist, kann über ein elektronisch gesteuertes Sperrdifferenzial die Kraft an der Hinterachse auch zwischen den Rädern verwalten, um Dich mittels Torque Vectoring auch dann noch zu retten, wenn Du schon längst alles verloren glaubst. In der Theorie.

Also Pedal auf’s Bodenblech! Doch wild durchdrehende Vorderräder sorgen dafür, dass selbige vom Kamm’schen Kreis inzwischen so weit entfernt sind, wie Du von der eigentlich als Wendepunkt angepeilten Pylone. An der Hinterachse hingegen passiert genau: nichts. Das von den Kollegen vor dem Fahrzeugwechsel unreflektiert und eisern befolgte „if in doubt, flat out“ (nein, auch das ist nicht immer wahr), endete in einer Materialschlacht der Kupplung des Verteilergetriebes. Der dazu passende Gestank (Kupplung und so) war jedenfalls ein sicheres Zeichen dafür, dass an der Hinterachse dieses Juke so schnell nichts mehr angetrieben wird.

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90 Minuten sind schnell rum, also besser sofort umsatteln. Rein in den neuen Nissan Qashqai. Schön ist er geworden. Ja, ehrlich. Was habe ich Nissan gerne für ihr Interieur gescholten und was fühle ich mich hier wohl! Aber darauf kommt es heute nicht an. Was zählt, ist die Kraftübertragung. Es geht in eine Pylonengasse. Schnelles Ausweichmanöver auf Eis, ohne elektronischer Rettungsanker. Dafür braucht’s auch a bisserl Schwung. Aber genau das gestaltet sich bereits schwierig. Der Anfahrbereich für diese Übung ist schon so glattpoliert, dass es Dich selbst mit Winter-Schuhwerk sofort auf’s vorlaute Mundwerk legt, sobald Du auch nur daran denkst, einen Fuß aus dem Cockpit auf den Boden zu setzen. Die Anlaufstrecke verlängern wir also in weiser Voraussicht um einige Meter. Vorsichtiges Anfahren, Shortshifting in den zweiten Gang und allmählich Fahrt aufnehmen. Im dritten Gang wird sich dann behutsam Vollgas angenähert – es reicht zwar immer noch für Schlupf, aber es reicht zum Beschleunigen. Einfahrt in die Pylonengasse. Knapp über der 60 findet sich die Tachonadel ein. Gas wegnehmen, dynamische Radlastverteilung nutzen, ein feiner Lenkimpuls und der Qashqai folgt brav der Richtungsvorgabe. Schleppgas ist für Loser, komplett lastfrei den Konterschwung einleiten und sich freuen, wie das Heck artig quer geht. Der Scandinavian Flick ist halt eine Freude. Stabilisieren wird mit dem Gas, gegenlenken – läuft! Dann das Wendemanöver: Gas, Gas weg, rechts, links, die Hinterachse holt aus und wieder drauf auf den Pinsel.

In bester nordischer Rallyemanier haben wir einen wunderschönen Allraddrift eingeleitet. Doch dann ist da dieses fiese Ding. Eine Eisfläche glatt, dass Du schon fast glaubst, Reibwiderstände wären nur eine theoretische Idee. Und das eben genau dort, wo Du sie am wenigsten willst: In der schönsten Phase des Driftverlaufs. Und statt sich sanft gegenlenkend wieder auf der Ideallinie einzureihen, schaust Du selbiger hinterher, wohl wissend, dass sie mit jedem Sekundenbruchteil immer weiter in unerreichbare Ferne rückt. Denn es geht quer. Über alle Viere. Und Du bist nur noch blinder Passagier. Hier könnte kein System der Welt mehr eine schlaue Idee ins Spiel bringen. Es fehlt einfach das einzige Mittel gegen µ-Werte im Nahe-Null-Bereich: Spikes. Aber die hat’s heute halt leider nicht.

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Fahrzeugwechsel. Wenn die Bedingungen schon ausreichen, um selbst mit 130-Diesel-PS alle vier Räder durchdrehen zu lassen, ist was der logische Schluss? More Power! Eh klar. Aufsitzen auf Nissans schärfster und stärkster Waffe im Allradstall: Nissan GT-R. 550 PS müssen’s jetzt richten. Allerdings mit einem echtem, mechanischen Allradsystem. Kein Hang-On-Haldex-Hassenichtgesehen, sondern echter permanenter Allradantrieb mit grundsätzlich hecklastiger Lastverteilung. Und das merkt man: das Überfahren, welches es hier und da braucht, um den anderen elektronischen Systeme zu verstehen zu geben, dass die Leistung gefälligst an der Hinterachse gefragt wird, erledigt sich bei Godzilla von selbst. Die daraus resultierende Gedenksekunde, bis die elektronischen Systeme nach hinten regeln nämlich auch. Also gilt: Gas und die Fuhre geht quer – in quasi jedem beliebigem Winkel. Was dazu führt, dass du es nach kürzester Zeit maßlos übertreibst, mit einem Driftwinkel nahe der 180°-Marke (soll heißen: rückwärts driftend) in Richtung Streckenrand schlitterst, wohl aber mit der Schnauze schön die zu umfahrende Pylone fixiert hast. Und doch geht es gut.

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Hast du dich dann erst einmal auf diese Urgewalt eingespielt, wird der Tanz um die Pylonen fließend und weicher, immer im Drift schon den Konterschwung eingeleitet und mit der Schnauze haarscharf um die Pylone herum getänzelt, untermalt von einer herrlich rauen und mechanischen Geräuschkulisse. Doch auch wenn sich das alles auf Grund der Streckenverhältnisse hier eher in Zeitlupe abspielt, ist es ein großes Fest, bis du vom ständigen Herumgekurble von Lenkanschlag zu Lenkanschlag eben völlig genässt wieder aussteigen musst – die 90 Minuten sind schon wieder rum.

Es bleibt das Gefühl, dass Godzilla noch so viel mehr könnte und dass Du erst so wenig von ihm gesehen hast. Die Busfahrt zurück nach Zürich über den wunderbaren Julierpass regt die Fantasie an: Du siehst Dich mit Godzilla vor den Kurven anbremsen, einlenken, Gas geben, driften, feiern, jubilieren, Freudentränen weinen. Soviel ist klar: der Nissan GT-R und ich, Godzilla und der Petrolhead, wir müssen uns wiedersehen. Wir brauchen mehr, als nur einen Schnelldurchlauf.

Text: sb
Fotos: Daniel Martinek

Disclosure zur Transparenz

Ich wurde von Nissan nach Samedan, Schweiz eingeladen. Reisekosten, Verpflegung und Übernachtung wurden von Nissan übernommen. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

34 Kommentare

  1. Schon genial, dass die Strecke einfach mal hergerichtet wurde. Muss eine Schweinearbeit gewesen sein. 😉

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