Man stelle sich das größte Motorsport-Happening des Jahres in der Eifel vor: das 24h Rennen am Nürburgring. Während auf der Strecke die Boliden aller Klassen für den passenden Soundtrack sorgen, feiern die Fans zur Motorsportakustik auf ihren Campingplätzen rund um die Nordschleife. Zelte, Bierflaschen, Camper, brennende Tonnen und dazwischen: ein Rolls-Royce. 24h-Camping mit Stil. Wenn man sein Wohnzimmer schon nicht am Ring hat, bringt man eben eins mit. Oder so.

Rolls-Royce Ghost II - Nürburgring Nordschleife 24h Rennen

Warum eigentlich auch nicht? Gut, für die meisten von uns sprechen ziemlich exakt 366.580 Gründe dagegen, es so zu machen. All denjenigen, für die das dagegen 366.580 gute Gründe sind, das wohl exklusivste Wohnzimmer am Ring dabei zuhaben, sei gesagt: besser lässt sich so ein 24h-Wochenende wohl kaum ertragen. Da wäre allein schon das feinste Lavalina-Leder, welches die Sitze – oder besser: Wohnzimmergarnitur – im Rolls-Royce Ghost ziert und die Insassen fürstlich bettet. Massagefunktion – eh klar. Dazu aller technischer Schnickschnack, den man sich nur wünschen kann, um die sonst im Lotus stattfindende Tortur Anreise aus dem 560 Kilometer entfernten München in einen Genuss zu verwandeln.

570 PS? Eigentlich egal. Das, was dort unter der Haube steckt reicht locker aus, um den Rolls-Royce Ghost geradezu spielerisch voranzutreiben. Da schaut auch mal ein Carrera-Treiber etwas ungläubig, der das „S“ bei der Bestellung vergessen hat, wenn sich deutlich über 2,4 Tonnen freie Fahrt vom Zuffenhausener einfordern. Ordentlich durchgelüftet blasen die beiden Turbolader das V12-Triebwerk immerhin so mächtig an, dass 780 Nm an der Kurbelwelle zerren. 2,4 Tonnen hin oder her, knappe 800 Nm lassen kaum Gedanken ans Gewicht aufkommen. Artgerechte Haltung eines Ghost sieht freilich anders aus, aber Längsdynamik ist ja schließlich auch da, um erlebt zu werden.

Schnell und doch nicht schnell

Zeit sollte man dennoch etwas mehr einplanen: einerseits lässt sich die Bewegung der Tanknadel – stehen die Turbinen voll auf Durchzug – mit bloßem Auge beobachten, was in der Folge auch den ein oder anderen Tankstopp mit sich bringt. Das bietet allerdings auch ausreichend Gelegenheit, um beim Burger-Schnellimbiss seiner Wahl standesgemäß die Mägen der Besatzung zu betanken – die gute Eleanor sucht vor Schmach währenddessen ein sicheres Versteck im Kühlergrill. Andererseits ist aber auch die Kombination aus Fahrzeug und Besatzung, zumindest in meinem Fall, ausreichend Grund für die Polizei, sich der Rechtmäßigkeit dieser Kombination selbst zu versichern. Früher oder später kommt man trotzdem am Ring an und so schwer es einem dann auch fällt: man muss eben doch wieder aussteigen, denn einen Akkreditierungs-Drive-In gibt es auch hier zum 24h Rennen noch nicht.

Für die erste Nacht vor dem Rennen gibt es nun zwei Optionen: einerseits ein Zelt im Nissan Nismo Camp, in das ich freundlicherweise eingeladen wurde, andererseits im britischen Wohnzimmer. Für die Nacht vor dem Rennen entscheide ich mich für Option 1, während der Traum in „Mazarine Blue“ auf dem überwachten Parkplatz zwischen etlichen international zugelassenen Nissan GT-R die Nacht verbringen darf. Die Quittung für diese Entscheidung folgt prompt: Die Eifel zeigt sich abermals von ihrer typischsten Seite und glänzt mit einer kalten Nacht. Sehr kalt sogar. Näher am Gefrierpunkt, als an der 10°-Marke, steht nach dieser Nacht fest: die Rennnacht wird im Wohzimmer verbracht, schließlich ist für alles gesorgt: ein bequemes Sofa, feinster Lammfellteppich für die Füße, Soundsystem, DVB-T-Fernsehen, Bier (natürlich Kölsch) und Chips.

Ohne Querdynamik wäre passion:driving nicht passion:driving

Es ist Samstagnachmittag, der Startschuss zum 24h-Rennen auf dem Nürburgring ist gefallen. Für die nächsten 1.440 Minuten wird der Motorenlärm hier in der Eifel regieren, die Fans in der Grünen Hölle feiern und ihr Grillgeruch wird die Konzentration so manchen Fahrers mehr auf die Vorstellung eines saftigen Steaks, statt der nächsten Kurvenkombination lenken. Für mich die optimale Gelegenheit, um den Ghost auch einmal auf der ein oder anderen Straße um den Ring herum zu bewegen.

Rolls-Royce Ghost II - Nürburgring Nordschleife 24h Rennen
Rolls-Royce Ghost II - Nürburgring Nordschleife 24h Rennen

Querdynamik? Nun, eigentlich müssten wir nicht darüber sprechen, aber wir wären hier ja nicht bei passion:driving, wenn ich es nicht trotzdem tun würde. Ja, man kann mit ihm Kurven fahren. Ja, kleine Eifelsträßchen sind dann doch ein wenig zu eng und verwinkelt. Stellt euch einfach vor, ihr … ach, stellt euch einfach nichts vor. Denn in erster Linie fühlt sich die Kurvenhatz im Ghost vor allem so an: falsch. Es passt nicht. Die durchaus direkte Lenkung macht das an und für sich sogar ganz gut, das Chassis ist dem nicht völlig abgeneigt, aber es passt einfach nicht. Man will es nicht. Und das ist auch gut so.

Currywurst im Hatzenbach

Die Nacht bricht schneller herein, als man glaubt und während draußen auf der Strecke ein fordernder Wettkampf tobt, ist hier im britischen Wohnzimmer alles völlig entspannt. Da wir uns für die zweite Nacht für das Wohnzimmer entschieden haben, eine solche Nacht einfach irgendwo auf dem Parkplatz aber weder von besonderer Rennatmosphäre geschwängert, noch sonstwie interessant ist, muss der Weg auf einen der zahlreichen Campingplätze gesucht werden. Dort wo das Herz der Fangemeinde schlägt. Dort wo die Fans mit Herzblut und hohem Pegel Fahrer und Autos feiern. Oder auch einfach nur: feiern.

Der Plan steht: erst auf eine Currywurst mit Bjoern in den Hatzenbach, dann ein schönes Plätzchen im Schwalbenschwanz finden – direkt neben dem Nissan-Außencamp mit Bar, DJ und allem was dazugehört. Und wider Erwarten zeigt sich der Ghost als echter Allrounder: dank Nachtsichtkamera übersieht man keine Fans, auch nicht die betrunkenen. Ihre wirre Linienwahl ist freilich nicht ganz so einfach abzuschätzen, aber zumindest lässt sich dieselbige einwandfrei beobachten. Das Warmhaltefach für die Currywurst ist zudem ebenfalls serienmäßig an Bord und versteckt sich unter der Haube in edlem Silber-Satin-Finish, auf der – zumindest von der Länge her, wahrscheinlich sogar ein ganzer smart einen adäquaten Stellplatz finden düfte. Sicher, die 6,6 Liter Hubraum als Warmhaltefach zu nutzen, ist vielleicht ein kleines bisschen dekadent, aber eben: es funktioniert. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, bloß keine Mayo verkleckern! Das gäbe schließlich hässliche Flecken.

Nachtquartier: Schwalbenschwanz

Bleibt zuletzt also nur noch, ein angemessenes Nachtquartier im Schwalbenschwanz auszumachen. Und wieder kann der Ghost – ich nenne ihn bereits liebevoll „Rollator“ – Praktikabilitätspunkte sammeln. Da wäre einerseits die für die Zeit des Rennens gesperrte Bundesstraße B412, vorbei am Brünnchen. Zufahrtsscheine und Sondergenehmigungen … klar, das kann man alles benötigen, um dort ein- und ausfahren zu dürfen. Im Zweifel tut es aber auch einfach unser rollendes Wohnzimmer, das von den Ordnern sofort als „VIP-Shuttle“ klassifiziert wird und damit freie Einfahrt genießt. Praktisch, denn so ist der Weg frei zum Schwalbenschwanz. Der holprige Weg dorthin ist ebensowenig ein Problem, schließlich lässt sich das Luftfahrwerk auch in die Höhe pumpen – der Ghost schreckt vor nichts zurück.

Rolls-Royce Ghost II - Nürburgring Nordschleife 24h Rennen

Wir finden unser Nachtquartier bei einer Truppe feiernder Fans. Wer nun befürchtet, man könne dort nicht mit einem solchen Auto hinfahren – es seien an dieser Stelle noch einmal die 366.580 oben genannten Gründe angeführt – dem sei gesagt: wahre Autofans sind solche, wie man sie hier findet. Denn wenn Ehrfurcht und Respekt vor der britischen Luxuscouch auf Rädern so hoch sind, dass man sich gar nicht ans Auto herantraut und andere nicht mehr ganz so wache Kollegen auf Distanz gehalten werden – zu groß ist die Angst, etwas ungewollt zu verkratzen – dann weiß man, dass sich die Stelle als Nachtquartier eignet.

Licht aus, Fernseher an, Bier auf und die Fenster ein Stück weit geöffnet, um am Akustikglas vorbei auch etwas vom Renngeschehen hören zu können. Wenn da nun nicht ein kleines Problem wäre: bei allen Qualitäten als Wohnzimmer, mangelt es dann doch ein wenig an Qualitäten als Schlafzimmer. Eine Liegeposition ist mit den Rücksitzen nur schwer zu finden, zu steil ist ihr Winkel trotz aller Verstellbarkeit.

Rolls-Royce Ghost II - Nürburgring Nordschleife 24h Rennen

Egal, für ein paar wenige Stunden Schlaf reicht es dennoch und einen traumtiefen Schlaf braucht’s heute ohnehin nicht. Denn, ich liege in einem Rolls-Royce Ghost. Am Camingplatz. In der Eifel. Zum 24h-Rennen. Wer braucht da schon Träume?

Text: sb
Fotos: sb

Wertung

8.5/10
  • Fahrdynamik: 3
  • Fahrspaß: 8
  • Sound: 6
  • Verarbeitung: 10
  • Komfort: 9
  • Ausstattung: 9
  • Verbrauch: 4
  • Preis/Leistung: 7
  • Persönliche Anziehungskraft: 8
Mein passion:driving Wertungsschlüssel spiegelt meine subjektive Einschätzung des Testwagens in verschiedenen Kategorien wieder. Die fahrdynamischen Qualitäten spielen dabei eine große Rolle. Trotzdem wird ein Auto nur durch Performance keine 10er-Wertung erhalten können. Hier gibt es mehr Informationen zum Wertungssystem.

Technische Daten

Rolls-Royce Ghost

Motor-Bauart:
Biturbo-V12 mit Direkteinspritzung
Hubraum:
6.592 cm³
Leistung:
420 kW / 571 PS bei 5.250 U/Min
Drehmoment:
780 Nm bei 1.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
250 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
5 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
21.2 L / 9.8 L / 14 L E10 (ROZ 95)

Grundpreis Rolls-Royce Ghost:
279.531
Testfahrzeugpreis:
366.580
Leergewicht:
2.360 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
5.399 mm / 1.948 mm / 1.550 mm

Disclosure zur Transparenz

Das Fahrzeug wurde mir freundlicherweise von Rolls-Royce für den Test zur Verfügung gestellt. Der Test erfolgte unabhängig. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.

Mehr Sachen mit Rolls-Royce drin



Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

28 Kommentare

Schreibe einen Kommentar