Nachdem ja nun alle schon nach 1-2 Episoden ihren Senf zum neuen Top Gear abgegeben haben, sollte man doch meinen, der Drops sei inzwischen gelutscht. Jetzt gibt es ohnehin nichts mehr zu sagen. Aber doch, ja, gibt es meiner Meinung nach schon. Denn erst nach der dritten Episode gestern Abend, kann man das neue Top Gear wirklich einordnen.

Top Gear Staffel 26 Episode 3 mit Chris Harris

Zugegeben: ich habe dem neuen Top Gear durchaus einiges zugetraut. Wer meine Diskussionen auf Facebook verfolgt hat, weiß das. Denn in erster Linie, dachte ich mir, kann es für uns Petrolheads doch nur etwas gutes werden. Wir bekommen unsere drei Jungs, die ihren verrückten Kram künftig auf Amazon unter dem Namen „The Grand Tour“ durchziehen, während BBC two uns weiterhin mit einem komplett frischen Automagazin versorgt, das durchaus unterhaltsam werden dürfte, WENN – und da kommt nun der springende Punkt – das Produktionsteam nicht den Fehler begehen wird, einfach das Clarkson-Hammond-May-Top-Gear-Konzept aufzukochen und fortzusetzen. Denn genau das hat man schon bei den internationalen Ablegern probiert und ist dort, meiner Ansicht nach, zumeist daran gescheitert.

Inzwischen wissen wir: leider hat man (fast) genau das getan. Chris Evans, der mehr oder weniger alle Produzentengewalt an sich reissen konnte, hat im Kern das Top Gear Konzept beibehalten, statt ein neues Format zu entwickeln. Gut, der Star-Part wurde nun umgestaltet, was eine nette Neuerung ist, nach der zweiten Folge bleibt die Aufregung über ein durch eine Pfütze fahrenden Mini aber bereits aus und unterm Strich wirkt der Teil aus meiner Sicht deutlich langatmiger, als die geschickt und präzise pointierten Interviews von Clarkson. Davon abgesehen, bleibt es eben größtenteils bei der alten Suppe mit frischen Zutaten – warum auch nicht? Mit Folge drei wurde gestern Abend aber endgültig bewiesen, woran der schrille, wie ein koksendes Eichhörnchen durch’s Studio springende und schreiende Evans scheitern dürfte.

Clemens hat in seinem Klartext „Clarksons alte Unterhosen“ den Nagel sehr gut auf den Kopf getroffen und jeder Film mit Evans am Steuer fühlte sich in den vergangenen Episoden sehr befremdlich an. Denn man hatte das Gefühl, man sehe eine Art Clarkson vor sich, nur dass er es eben nicht ist. Wenn Evans im Auto schreiend Richtung Horizont beschleunigt, wenn er Wortspiele verwendet, die er einem Clarkson-Wörterbuch entnommen haben könnte – nein, das alles fühlt sich irgendwie falsch an. Und mal von seiner anstrengenden Stimme abgesehen, glaube ich grundsätzlich auch, dass er ein leidenschaftlicher Petrolhead ist und an und für sich mit seinem ganz eigenen Charakter zu einem interessanten Top-Gear-Charakter werden könnte.

Top Gear S26E03 Rory Reid Ford Focus RS

Folge 3 hat das nun gestern eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Chris Harris bekam mit dem Ferrari F12 TDF und der 250 GT Berlinetta TdF seinen ersten Film und hat beeindruckend gut geliefert. Das alte „Chris Harris on Cars“-Rezept, und doch besser, kurzweiliger, interessanter und – natürlich, denn es gibt eben einen fetten Top-Gear-Budgettopf – aufwändig in Szene gesetzt. Anschließend folgt Rory Reids erster Film über den Focus RS. Auch hier alles fein: Reid beschreibt das Fahrzeug auf seine eigene, leidenschaftliche Art und Weise, hat ein paar coole Witze und einige bissige Sätze auf Lager. Und ganz plötzlich fühlte sich das neue Top Gear irgendwie gut, irgendwie heimisch an. Denn was wir zu sehen bekamen, waren zwei Moderatoren, die ihren ganz eigenen Stil, Charme und Witz haben. Die ihre komplett eigene Sprache haben, wenn es um Autos geht. Das ist es, was dem neuen Top Gear bisher fehlte. Denn Evans führt gefühlt einfach nur die Clarkson-Punchlines fort und Matt Le Blanc, auch wenn er als sehr cooler Typ lässig rüberkommt, wirkt durchgehend ein wenig zu sehr wie das, was er tatsächlich ist: ein Schauspieler.

Leider wird das alles, das haben die großkotzigen Kommentare Evans‘ nach der ersten Folge auf Twitter bereits gezeigt, wohl kaum eine Auswirkung auf die künftige Gestaltung der weiteren Folgen haben. Denn die Zahlen dreht man sich im Zweifel eben zurecht: Evans hat sich für die Zuschauerzahlen von Folge 1 gefeiert. Dabei ist klar: alle Welt wollte das neue Top Gear scheitern sehen. Folge 2 hatte bereits erheblich weniger Zuschauer, Folge 3 sicherlich – EM und Formel 1 sei dank – noch deutlich weniger. Insofern wird der hier und da etwas größenwahnsinnig anmutende Evans aus den Zahlen seine eigenen Rückschlüsse ziehen. Ich vermute, es werden die falschen sein. Die richtigen würden heißen: gebt uns mehr Harris und mehr Reid. Sofort!

Text: sb
Bilder: BBC


Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

19 Kommentare

  1. Für mich ist Top Gear mit Chris Evans einfach nicht mehr das selbe. Ich habe mich über die Jahre halt einfach an das alte Moderatorenteam gewöhnt und fand gerade die Kombi Hammond/Clarkson genial. Natürlich geht es zunächst um die Autos, aber die Moderatoren spielen halt auch eine große Rolle dabei, ob man regelmäßig einschaltet. Was die Einschaltquoten beim neuen Format betrifft, war haltschon klar dass viele bei der ersten Folge aus Neugier einschalten werden. Ob das aber so gehalten werden kann, ist eine andere Frage. Ich freu mich erstmal auf The Grand Tour und werde bei Top Gear wahrscheinlich nur noch gelegentlich reinschauen.

Schreibe einen Kommentar