Headwave Tag trifft Nolan N-Com 901 LR

Sicher gibt es den ein oder anderen Puristen, der beim Vorschlag während des Motorradfahrens Musik zu hören, gleich auf die Palme geht. Gerade bei längeren Ausfahrten oder nervigen Anreisestrecken über die Autobahn, bin ich aber ganz froh, Musik hören zu können. Auch wenn ich mit dem Zweirad aus der Eifel nach Köln pendle, ist mir etwas Abwechslung auf den Ohren doch ganz recht. Daher habe ich mir mal zwei unterschiedliche Möglichkeiten angeschaut, Musik auf dem Motorrad genießen zu können und gegeneinander verglichen.

Einbau vs. Anbau

Den Anfang macht ein klassischer Vertreter der Kategorie „Kommunikationssysteme für Motorradhelme“. Dabei handelt es sich um Systeme, die im Helm verbaute Lautsprecher haben. Um ihrer Eigenschaft als Kommunikationssysteme gerecht zu werden, kommt dabei natürlich noch ein Mikrofon hinzu. Als Vertreter dieser Gattung habe ich von Nolan einen N44 Evo zur Verfügung gestellt bekommen, in welchem das Nolan Kommunikationssystem „N-Com 901 LR“ verbaut ist. Das System kann für andere Nolan-Helme (nicht alle!) auch nachgerüstet werden und kostet zwischen 240-270€ je nach Bezugsquelle. Das Einbausystem tritt den Vergleich gegen den Headwave Tag des Berliner Startups Headwave an, der eher ein „Anbausystem“ ist und beim Louis um 200€ kostet, für das sonst aber 299€ fällig werden.

Die offensichtlichen Vor- und Nachteile der beiden Systeme sind schnell genannt: das N-Com ist ein reines Nolan-System. Daraus ergibt sich der Vorteil, das es tatsächlich perfekt im Helm integriert ist. Keine Kabel bleiben sichtbar, der Ladeanschluss ist hinten perfekt in der Helmschale integriert, die Bedieneinheit an der Seite schlank und weit weniger aufdringlich, als irgendwelche universellen Lösungen von Cardo oder Sena. Gleichzeitig ist das aber auch der Nachteil: mit über 250€ ist das System definitiv nicht günstig, kann aber bei einem Helmwechsel zu einer anderen Marke schon nicht mehr mitgenommen werden. Zudem das System auch nicht in alle Nolan-Helme passt. Selbst bei einem Helmwechsel nach einige Jahren innerhalb der Marke ist also schon nicht garantiert, dass man das System mitnehmen kann.

Hier kommt die Stärke des Headwave Tag zum Tragen. Der Tag wird einfach auf den Helm aufgeklebt. Ja, beim Entfernen hinterlässt das hässliche Kleberückstände, die nur sehr mühselig wieder zu entfernen sind. Dennoch ist ein Umzug auf einen anderen Helm damit problemlos möglich. Zwei Klebepads liegen grundsätzlich bei, weitere lassen sich nachkaufen. Natürlich macht man diesen Wechsel nicht regelmäßig. Wer Zuhause vielleicht einen Enduro- und einen Racinghelm hat, kann den Tag nicht ständig hin- und herwechseln. Außerdem ist der Tag nicht davon abhängig, ob vom Helmhersteller eine Möglichkeit zum Nachrüsten eines Soundsystems vorgesehen war. Solange sich hinten auf dem Helm eine ebene Fläche findet, auf welcher der Tag Platz nehmen kann, lässt sich der Tag problemlos nachrüsten.

Von der Bühne zum Kopfhörer

Auch klanglich gehen beide Systeme völlig unterschiedliche Wege. Das N-Com hat mit seinen zwei Lautsprechern ein ganz typisches Klangbild, wie man es von Kopfhörern kennt. Die Beschallung erfolgt sehr direkt, dafür natürlich auch in echtem Stereo. Da die Lautsprecher klanglich aber auch eher pragmatisch gestaltet wurden, kann die direkte Beschallung auf Dauer schonmal recht ermüdend werden, zumal gerade der obere mittlere Frequenzbereich sehr intensiv auf die Ohren plärrt. Andererseits sind feine Nuancen in der Musikwiedergabe natürlich beim gebotenen Einsatzzweck weniger relevant, da Fahrtwind, Motorengeräusche & Co ohnehin ein audiophiles Klangerlebnis torpedieren.

Die Lautsprecher des N-Com werden unter dem Helmpolster verbaut

Ein ganz anderes Klangbild bietet der Headwave Tag schon auf Grund seines anderen Konzeptes: dort befindet sich in der Mitte des Tag nämlich ein Treiber, welcher die gesamte Helmschale anregt und damit zum Lautsprecher macht. Unmittelbarer Vorteil zum N-Com ist das Rundumklangbild und die breite Bühne, die sich dadurch auftut. Tatsächlich Musik dadurch auch deutlich entspannter und weniger anstrengend zu hören, da es keine direkte Beschallung auf die Ohren gibt. Allerdings, auch wenn der Eindruck einer weiten Bühne entsteht, hat man mit dem Tag natürlich keine Stereowiedergabe, da eben nur ein Lautsprecher vorhanden ist.

Damit der Tag vernünftig klingen kann, ist es wichtig ihn sauber aufzukleben, sonst verzerrt die Musik sofort. Trotzdem hatte ich leider zu Beginn mit einem defekten Gerät zu kämpfen, das dann umgetauscht wurde. Das zweite Gerät habe ich ebenfalls erst beim zweiten Versuch vernünftig aufgeklebt bekommen. Trotz allem ist die Musikwiedergabe nicht frei von Verzerrungen, ähnlich eines übersteuernden Lautsprechers. Gerade bei sehr vielschichtiger in der alle Frequenzbereiche bis oben hin vollgestopft sind, tut sich der Tag doch ganz schön schwer. Zwar hat er eine sehr kräftige Basswiedergabe, die stört im gleichen Moment aber auch höhere Frequenzen, sodass auch cleane Gitarren und Gesang teils stark verzerrt werden. Dreht man per Equalizer die Bässe zurück, wird es deutlich besser, aber immer noch nicht perfekt. Was in der Wohnung beim Trockentest noch stark auffällt, wird während der Fahrt im Wind allerdings kaum noch wahrgenommen. Wer dagegen etwas weniger komplex aufgebaute Musik anwirft, beispielsweise elektronische Musik, freut sich über kräftige Bässe und dort fallen die systembedingten Nachteile auch kaum noch auf.

Luftwiderstand

Im Fahrtwind haben beide Systeme ein wenig mit der Lautstärke zu kämpfen und wollen ordentlich aufgedreht werden. Beim N-Com wird dadurch der oben erwähnte obere Mitteltonbereich schon fast störend, dringt er doch sehr prägnant an die Ohren durch. Lautstärkemäßig hat das N-Com noch einige Reserven, während der Tag an meinem Pixel 2 XL schon auf maximaler Lautstärke läuft. Lauter lohnt es sich aber auch beim Nolansystem nicht zu drehen, außer man hat kein Interesse, sein Hörvermögen noch eine Weile zu behalten.

Was sich gezeigt hat: beide Systeme haben ihre Schwierigkeiten, mit dem Fahrtwind umzugehen. Das N-Com wird bei entsprechender Lautstärke in manchen Frequenzbereichen zu störend, der Tag bleibt etwas zu leise und verliert bei hohen Geschwindigkeiten an Klangvolumen. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Helmschale durch den Wind angeregt wird und sich damit einzelnze Frequenzen gegenseitig aufheben.

Retter in der Klangnot: Gehörschutz von Alpine

Abhilfe schaffte hier tatsächlich ein Gehörschutz. Lange Strecken fahre ich ohnehin nie ohne Gehörschutz und greife dabei auf Alpine MotoSafe Race zurück, welche speziell für’s Motorradfahren entwickelt wurden. Sie reduzieren die Lautstärke insbesondere von Windgeräuschen. Tatsächlich konnte ich dadurch auch die Musiklautstärke reduzieren, obwohl die Musik gleichzeitig sehr viel besser zu hören war. Ich kann die Stöpsel also nicht nur als eine Investition für eure Gesundheit empfehlen, sondern unbedingt auch als klangverbessernde Maßnahme für Helm-Soundsysteme.

Drei Knöpfe sollst Du haben

Während klanglich also beide Systeme ihre Stärken und Schwächen haben, gibt es in Puncto Bedienbarkeit einen klaren Sieger. Der Tag muss mit nur einer Taste auskommen, über welche sich das Gerät ein- und ausschalten, die Wiedergabe starten und stoppen und durch einen doppelten Druck ein Lied weiterspringen lässt. Will man die Lautstärke verändert, geht das schon nur noch mit einem Griff zum Smartphone.

Das N-Com-System bietet am kleinen Bedienteil drei Knöpfe, über die sich zusätzlich die Lautstärke verändern und ein Lied zurückspringen lässt. Der größte Vorteil – und an der Stelle wird der Vergleich auf den ersten Blick etwas unfair – ist aber des N-Coms Eigenschaft als Kommunikationssystem. Denn durch einen längeren Druck auf den mittigen Knopf, lässt sich der im Smartphone integrierte Assistent aktivieren, dem man über das mit dem N-Com im Helm verbaute Mikrofon Sprachbefehle geben kann. So lässt sich etwa eine andere Playlist aussuchen oder die Navigation starten, ohne anhalten und das Handy aus der Tasche wühlen zu müssen. Der Vergleich erscheint insofern unfair, als dass der Tag als reines Wiedergabesystem natürlich kein Mikrofon an Bord hat. Preislich liegen allerdings beide Geräte in einem ähnlichen Fenster und als vollumfängliches Kommunikationssystem bietet das N-Com dann doch einiges mehr an Funktionalität, im Vergleich zum Headwave Tag. In Sachen Laufleistung halten beide Systeme locker einen ganzen Tag auf dem Motorrad durch, wobei der Tag noch eher mehrere Tage am Stück auf einer Ladung macht, während das N-Com spätestens an Tag 2 ans Ladegerät sollte.

Fazit

Welches der beiden Soundsysteme daher für einen selbst in Frage kommt, ist in erster Linie eine Frage des geplanten Einsatzzweckes. Wer häufiger lange Touren fährt und damit auch ein wenig mehr Kontrolle über das Smartphone wünscht, der ist beim N-Com 901 LR besser aufgehoben. Und mit 50-70€, die dafür mehr zu investieren sind, erhält man zudem ein vollumfängliches Kommunikationssystem als Intercom auf Touren. Den Headwave Tag sehe ich dagegen vor allem als schönes Device insbesondere für den Pendleralltag oder Tagestouren, bei denen man eine Playlist einstellt und gut ist. Dafür hat der Tag vor allem den großen Vorteil, auf nahezu jeden Helm zu passen und ist dank der Umzugsmöglichkeit auf einen anderen Helm auch eine theoretisch unbegrenzt lang nutzbare Investition. Allerdings gibt es den Tag zu dem Preis nur bei einem Händler. Setzt man den regulären Preis von 299€ an, ist für mich der Gewinner dieses Vergleichs ganz klar das Einbausystem.

Disclosure: Für den Test wurde mir der Headwave Tag kostenfrei bereitgestellt, Nolan hat mir hierfür einen Helm N44 Evo mit eingebautem N-Com 901 LR kostenfrei überlassen.

Text: sb
Fotos: sb


Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

4 Kommentare

  1. Danke für den interessanten Artikel!
    Musik unterwegs zu hören? Wow, das ist ohne Zweifel Kunstflug!
    Ich werde unbedinkt eine von Ihren zwei Möglichkeiten probieren, Musik auf dem Motorrad genießen zu können.

  2. Grumpy Gorilla – Just a motorcycle dude from germany

    Ha! Jetzt erst gesehen dass du das Headwave Tag auch getestet hast! Deckt sich zu 100% mit meinen Erfahrungen. Sauber aufkleben ist das A&O, und es kommt auch immer etwas auf den Helm drauf an. Ich persönliche nutze das Teil zu 80% für Navi ansagen. Das Teil ist unkompliziert am Helm montiert, immer mit dabei, der Akku hält im Navi-Modus gute 10 Stunden.

    Der damalige Preis von 299€ war etwas arg… Das Neue Modell ist mit 229€ schon tiefer angesetzt und in einem Preisbereich, bei dem ich sagen würde: das ist das Teil mit den Verbesserungen gegenüber der „Ur-Version“ auch Wert.

    • passiondrivingblog

      Freut mich, dass Du hier liest! 😀

      Ich muss gestehen, ich fände es immer noch etwas zu teuer. Für den Preis bekommt man auch Systeme mit Lautsprechern im Helm, denen würde ich jederzeit den Vorzug geben, sofern man die in den Helm bekommt. Klar, wenn das alles nicht geht und man auf absehbare Zeit auch keine andere Helmanschaffung plant, dann ist das eine gangbare Lösung.

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