Ganz so weit vorne, wie die Yamaha MT-07 kann sich die Tracer 700 in der Zulassungsstatistik nicht behaupten. Das macht sie nicht weniger interessant, stellt sie doch gerade auch für größer gewachsene Fahrer eine mögliche Alternative dar, die ein ähnlich flinkes Handling verspricht, wie die unverkleidete MT. Für dieses Jahr steht das neue Modell bereits in den Startlöchern, während die Händler mit guten Rabatten auf das ‘19er-Modell locken. Grund genug also, sich das auslaufende Modell noch einmal genauer anzuschauen.

Mit Einführung der MT-07 im Jahr 2014 hat Yamaha einen wahren Bestseller auf den Markt gebracht. Das Mittelklasse Naked Bike kann sich seither stets in den vorderen Rängen der Zulassungsstatistik behaupten, woran nicht zuletzt auch der famose CP2-Zweizylinder einen großen Anteil trägt. Der Motor überzeugt mit Drehmoment und einem satten Anzug auch aus tiefsten Drehzahlen heraus und – viel besser noch: er ist nicht nur der MT-07 vorbehalten. Die gesamte Yamaha-Mittelklasse darf sich dieses Motors erfreuen, so zuletzt die Ténéré 700 und eben auch die Tracer 700.

Für puristische Touristen

Wem die MT zu reduziert ist, darf sich mit der Tracer über ein etwas touristischeres Angebot erfreuen. Dafür wurde der Radstand um 5 Zentimeter verlängert, die Sitzhöhe um knapp 3 Zentimeter auf 835 Millimeter angehoben, das Tankvolumen um 3 Liter vergrößert und das Fahrwerk vorn wie hinten etwas angepasst. Dazu gibt’s das übliche Tourenzubehör, so nimmt das Windschild Druck vom Oberkörper und im Zubehör lassen sich auch Koffer, Heizgriffe und mehr für die Tracer ordern. Davon darf man sicher aber nicht täuschen lassen, denn auch die Tracer 700 greift das Konzept “Sporttourer in hoch” (die Engländer sprechen gerne vom “Tallrounder”) durchaus von der eher minimalistischen Seite auf: Tempomat, TFT-Cockpit und Co sucht man hier vergebens. Ob es all das überhaupt braucht, darf freilich jeder für sich entscheiden, doch auch in Bezug auf die Zuladung ist die Tracer 700 etwas knauserig. Mit 171 kg maximaler Zuladung bleibt sie eher ein Solo-Tourer, sofern man nicht auf etwas Gepäck verzichten möchte. Das war’s dann im Grunde aber auch schon mit den Schattenseiten. Denn die Sonne scheint draußen auf der Landstraße und in den Bergen. Und dort scheint sie mächtig hell.

Das liegt in erster Linie an dem leichtfüßigen Handling. Egal, wie eng die Kurven sind, die Tracer wirft sich flott und präzise in Schräglage, erfordert keinerlei Korrekturen und bleibt im gesamten Kurvenverlauf zielgenau auf Kurs. Dank geht an die Basis der MT-07, welche mit der richtigen Detailarbeit auf den Tallrounder-Einsatz angepasst wurde: Die Gabel bekam andere Federraten und eine neue Dämpferabstimmung spendiert, die Schwinge im Heck wurde für mehr Touring-Stabilität um fünf Zentimeter verlängert und der Federweg am hinteren Federbein um 12 Millimeter erhöht. In der Summe macht das die Tracer etwas ruhiger im Handling, ohne spürbar etwas vom wieselflinken Charakter der 07 einzubüßen. Im Gegenteil scheint die Auslegung auf etwas höhere Lasten dem notorisch unterdämpften Heck der nackten Schwester sogar positiv entgegenzuwirken: Die Tracer 700 fühlt sich in Kurven auf welligem Asphalt deutlich ruhiger und stabiler an und das lästige Schaukelpferdchen wurde spürbar besänftigt. Trotz allem liegt die Abstimmung der Tracer sehr viel mehr auf der komfortorienterteren Seite, was sie gleichzeitig sehr zugänglich macht. Überraschungen, wie man sie als Pilot einer superspitz sportlich abgestimmten Maschine manchmal auszubügeln hat, schluckt die Tracer einfach weg. Und selbst wenn du es mal etwas übertreibst und in der Kurve das Tempo korrigieren musst, kooperiert sie willig mit geringem Aufstellmoment.

Quicklebendige Bergziege

Beim Motor bleibt mir nicht viel anderes übrig, als auf die üblichen Lobeshymnen mit einzustimmen. Er ist ein Reihenzweizylindermotor mit 270 Grad Hubzapfenversatz. Daher auch der Name “CP2”, wobei CP für die Crossplane-Bauweise steht, wie man sie auch von V8-Motoren kennt. Der daraus resultierend unregelmäßige Zündabstand sorgt für einen V2-typischen Sound, der zugegebenermaßen in gewissen Drehzahlbereichen auch etwas nach Rasenmäher beziehungsweise Gokart klingt. Von der wenig spektakulären, damit aber sozialompatiblen Akustik einmal abgesehen, ist der Antrieb aber ein Garant für Fahrspaß und hohem Alltagsnutzen. In den Bergen musst Du quasi nie in die Eins und drückst dich bei niedrigen Drehzahlen im zweiten Gang lässig aus der engsten Ecke heraus. Gerade enge Serpentinen werden damit zur echten Freude und die Tracer zur wahren Bergziege. In Wechselkurven surfst du ebenso schaltfaul dahin und hast dennoch immer ausreichend Drehmoment zur Hand, wenn die Geschwindigkeit mal nach oben korrigiert werden soll. Bis 8000 Umdrehungen schiebt der CP2 angenehm an, bevor ihm allmählich die Luft ausgeht. Die per Seilzug bediente Kupplung benötigt wenig Bedienkraft und lässt sich präzise und flott steuern, um zackig auf die nächste Welle zu wechseln, was auch am Schalthebel stets leichtfüßig und meistens treffsicher vonstatten geht.

Auch hier folgt die Tracer dem eher minimalistischen Konzept Yamahas kompletter Mittelklasse: Ein ABS unterstützt die gefühlt etwas stumpfen Bremsen, beim Rest ist aber stets der Pilot Herr der Sache. Schräglagen-ABS, Fahrmodi, Traktionskontrolle, Anti-Hopping-Kupplung oder Quickshifter sind nicht an Bord, braucht’s aufgrund ihres wenig fordernden Charakters auch gar nicht. Kritisieren lässt sich höchstens die Programmierung der Einspritzanlage, die schon mal etwas motiviert lospumpt, sobald der Gashahn berührt wird, wodurch in den Gängen 1-3 recht ruppig Kraft an die Kette gelegt wird.

Langstreckenkomfort mit Makeln

Mit der um drei Zentimeter auf 835 Millimeter gewachsenen Sitzhöhe bei gleichbleibender Fußrastenposition, ist der Kniewinkel deutlich entspannter als bei der MT und passt zur insgesamt eher aufrechten Sitzposition, die auch durch den höher liegenden Lenker ermöglicht wird. Dass ich mich auf längeren Etappen über die Autobahn irgendwann trotzdem unwohl gefühlt habe, liegt an der Gestaltung der Sitzbank. Im hinteren Bereich ist diese zwar breit genug ausgeformt, sie ist aber nach vorn abfallend gestaltet, so dass man immer wieder an den Tank rückt und sich das Körpergewicht damit auf eine nur recht geringe Fläche verteilt – und das trotz optionaler Komfortsitzbank.

Die lange Reise über die Autobahn wird aber nicht nur dadurch etwas getrübt. Auch der Windschutz ist etwas suboptimal gestaltet, trotz des bereits aus dem Zubehör verbauten größeren Windschilds. Den eigentlichen Zweck eines Windschutzes erfüllt das gut, es nimmt ordentlich Druck vom Oberkörper und man muss sich auch bei höheren Geschwindigkeiten nicht am Lenker festkrallen oder den Oberkörper in den Wind legen. Problematisch sind aber die starken Verwirbelungen, die hinter der Scheibe entstehen und mit voller Wucht auf den Helm prallen. Das verursacht nicht nur sehr laute Windgeräusche, selbst in gut gedämmten Helme, sondern auch Vibrationen, die auf Dauer reichlich anstrengend werden. Natürlich ist das Windschild auch in der Höhe verstellbar, allerdings müssen dafür zwei Handschrauben gelöst werden – nichts also, was man mal eben während der Fahrt tun könnte.

Das Cockpit der Tracer 700 fällt äußerst schlicht aus, bietet aber alles, was es grundsätzlich zum Fahren benötigt. Eine simple LC-Segmentanzeige versorgt den Piloten mit den nötigsten Infos: Drehzahl, Geschwindigkeit, Tankfüllstand, Uhrzeit und ein kleiner Bordcomputer mit Tripzähler und Verbrauchsanzeige sind vorhanden. Darüberhinaus ist in der äußeren Cockpitverkleidung Platz, eine Bordsteckdose zu verbauen und damit ein Navi zu bestromen, dass sich bestens auf dem aufpreispflichtigen Verbindungssteg (52 Euro) oberhalb der Gabelbrücke montieren lässt. Das freut die Tourenfahrer und macht eine Nachrüstung denkbar einfach.

Blick auf das 2020er Modell

Gänzlich makellos ist die Tracer nun freilich nicht, das macht die Überlegung, ob es die neue oder alte werden soll durchaus interessant. Yamaha scheint bei der neuen Tracer 700 genau dort angesetzt zu haben, wo die alte leichte Schwächen aufwies. Die Sitzbank scheint weniger stark geneigt und das in der Serie bereits etwas höhere Windschild wurde neu gezeichnet mit einer breiteren Ausformung nach oben hin. Das kann bereits dafür sorgen, dass die störenden Verwirbelungen vom Helm fern gehalten werden. Aber vor allem beim Fahrwerk hat Yamaha aufgerüstet und die 2020er Tracer nun mit einer in Zugstufe und Vorspannung verstellbaren Gabel ausgestattet. Dasselbe gilt für das Heck: Im Federbein sitzt jetzt ein in der Zugstufe verstellbarer Dämpfer. Der Radstand wurde durch eine etwas längere Schwinge erneut um 10 Millimeter verlängert, was die Tracer noch etwas stabiler machen dürfte.

Dass sie durch das Update auf Euro 5 und damit einem größeren Katalysator zwar ein Kilowatt an Leistung eingebüßt hat – geschenkt. Dafür hat Yamaha durch zwei zusätzliche Zähne mehr die Endübersetzung verkürzt. Der Spritzigkeit auf engen Bergstraßen dürfte das sehr entgegenkommen, der Langstreckenfahrt auf der Autobahn möglicherweise nicht – das wird der Test klären müssen.

Zu guter Letzt wäre da noch die Optik, die mit dem neuen Modell deutlich schärfer und modern ausfällt. Das an die R1 und R6 angelehnte Design steht dem Tallrounder hervorragend und die neuen Verkleidungen formen auch ein neues Cockpit, welches sehr viel sauberer und strukturierter wirkt. Freuen darf man sich auch über ein neues Display, welches deutlich moderner wirkt, obwohl Yamaha weiterhin in diesem preisempfindlichen Segment auf ein TFT verzichtet. Im Gegenzug gibt’s dafür LED-Beleuchtung rundum.

So oder so bekommt man mit der Tracer 700 einen Sporttourer, der in Sachen Agilität konkurrenzlos ist in seiner Klasse. Das schmeckt nicht jedem und in mehreren Gesprächen stellte ich fest, dass sich manche Fahranfänger mit dem kippeligen Handling und dem manchmal etwas schlagartig ans Werk gehenden Zweizylinder überfordert fühlen. Routiniers haben werden damit aber ihre Freude haben, auch bei “nur” 75 PS. Dass sie in der Langstreckenwertung etwas Federn lässt, zeigt letztlich aber auch, dass sie eher ein Touring-Kompromiss ist, geeignet für all jene, die wieselflinkem Handling und Fahrspaß den Vorrang geben, aber nicht gänzlich auf Tourenkompetenzen verzichten möchten und dank des 17 Liter fassenden Tanks, sowie dem niedrigen Realverbauch von knapp über 4 Litern, lassen sich immerhin ganz ordentliche Distanzen von deutlich über 300, bis hin zu 400 Kilometern ohne Tankstopp zurücklegen. Ihre spielerische Manövrierbarkeit macht sie darüberhinaus auch zu einem großartigen Motorrad für die Pendelei im Stadtverkehr.

Schnäppchen oder neu?

Muss es die Neue sein? Wie immer kommt es eben darauf an. Wer sich mit der Tracer 700 überwiegend in heimischen Gefilden auf kurvigen Landstraßen und auch mal im Stadtverkehr bewegt, der kann beim Auslaufmodell jetzt gute Schnäppchen machen: Für rund 7.500 Euro finden sich derzeit noch etliche nagelneue 2019er Modelle bei den Händlern, viele davon bereits mit Zubehör ausgestattet. Das ergibt eine satte Ersparnis von 11% gegenüber den 8.499 Euro, die für das neue Modell fällig werden. Wer hingegen häufiger längere Touren unter die Räder nimmt, dem sei ein Blick auf die neue Tracer unbedingt ans Herz gelegt. So oder so: ob man der Optik des neuen Modells widerstehen kann, muss natürlich jeder selbst entscheiden, ein herrlich unterhaltsames Motorrad gibt es in jedem Fall.

Yamaha Tracer 700
Schaut in der Seitenansicht immer noch hübsch und schlank aus. Das leichte Design passt auch zum Fahrgefühl. Die verbaute Komfortsitzbank kostet 223 Euro Aufpreis.

Text: sb
Bilder: Susanne Arenz / sb

Wertung

8.7/10
  • Fahrdynamik: 6
  • Fahrspaß: 8
  • Sound: 6
  • Verarbeitung: 6
  • Komfort: 6
  • Ausstattung: 4
  • Verbrauch: 8
  • Preis/Leistung: 8
  • Persönliche Anziehungskraft: 8
Mein passion:driving Wertungsschlüssel spiegelt meine subjektive Einschätzung des Testwagens in verschiedenen Kategorien wieder. Die fahrdynamischen Qualitäten spielen dabei eine große Rolle. Trotzdem wird ein Auto nur durch Performance keine 10er-Wertung erhalten können. Hier gibt es mehr Informationen zum Wertungssystem.

Technische Daten

Yamaha Tracer 700

Motor-Bauart:
2-Zylinder-Motor, 4-Takt mit 270°-Hubzapfenversatz (Crossplane), Flüssigkeitsgekühlt, DOHC, 4 Ventile
Sekundärantrieb:
Kette
Hubraum:
689 cm³
Leistung:
55 kW / 75 PS bei 9.000 U/Min
Drehmoment:
68 Nm bei 6.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
200 km/h
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
k.A. L / k.A. L / 4.3 L E10 (ROZ 95)
Grundpreis Yamaha Tracer 700:
8.195
Testfahrzeugpreis:
8.660
Testverbrauch:
4.5 Liter / 100 km über 1.809 km
Leergewicht:
196 kg
Max. Zuladung:
171 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
2.138 mm / 806 mm / 1.270 mm
Federwege (vorn/hinten):
130 mm / 142 mm
Sitzhöhe:
835 mm

Disclosure zur Transparenz

Das Fahrzeug wurde mir freundlicherweise von Yamaha für den Test zur Verfügung gestellt. Der Test erfolgte unabhängig. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

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