Stuttgart, knapp über 10 Grad und Regen. Nicht die Wetterbedingungen, die man sich für eine Begegnung mit dem Affalterbacher Flügeltier erhofft. Sowieso nicht, wenn man sich kurz ausmalt, was die 631 PS wohl mit der Hinterachse anstellen, die mit den Michelin PilotSport Cups ohnehin nicht besonders gut für strömenden Regen gerüstet ist – da sind dann auch die Außentemperaturen egal. Aber alles Jammern hilft nichts, ich habe den Schlüssel für einen Mercedes-Benz SLS AMG Black Series in der Hand und der will schließlich gefahren werden.
Die Damen und Herren in Affalterbach mögen es gerne mal ein wenig obszön, sowieso. Umso erstaunlicher, dass der SLS AMG da noch irgendwie den Spagat zwischen sportlicher Eleganz und „gib’s mir richtig dreckig“ ausbalanciert kriegt. Beim Black Series ist es dann aber so, als ob der Spagatkünstler einen schmerzhaften Riss im Schritt erleidet und gnadenlos auf die „gib’s mir richtig dreckig“-Seite hinüberstürzt. Gnade kennt der SLS Black Series keine. Weder optisch noch fahrerisch. Mit Carbon an allen Ecken und Enden – meist additiv, also nicht dem Leistungsgewicht zuträglich – tief hängender Schürzen und der dicken, vierflutigen Titan-Sportabgasanlage, tritt er mit dem Selbstbewusstsein eines Sumoringers auf. Godzilla? Gab’s zum Frühstück. Nächster Punkt auf der To-Do-Liste: Fahrer schweißbaden. Bis auf die Unterhose.
Angestrengt meldet sich auch schon der Anlasser zu Wort, der beim Druck auf den rot leuchtenden Startknopf hörbar bemüht ist, die Walze von Kurbelwelle in Bewegung zu setzen und die acht Kolben unter der unfassbar langen Vollcarbonhaube – hier wurde tatsächlich Gewicht eingespart – einen stampfenden V8-Beat poltern zu lassen. Leise kennt der SLS AMG Black Series nicht. Nicht im Stand, nicht bei gemäßigter Fahrt und erst recht nicht, wenn der Hochdrehzahlsauger unbeirrt bei 8.000 Umdrehungen dem Drehzahlbegrenzer entgegeneifert. Dazu braucht es dann aber – insbesondere bei den gegebenen Straßenbedingungen – eine gehörige Portion Mut. Im Dritten aus der 70er-Zone auf der Landstraße herauszubeschleunigen lässt sich mit einer Katze vergleichen, die sich gerade auf einen Angriff vorbereitet: auf der Suche nach Grip wackelt sie kräftig mit dem Hintern, um die Krallen mit dem Untergrund zu verzahnen. Mit dem Unterschied, dass beim SLS der Angriff dann schon längst in Gange ist und der Sache mit dem Verzahnen keinerlei Erfolg in Aussicht gestellt werden kann.
Dass die variable Dämpferregelung des „AMG Ride Control“-Fahrwerks nur die Einstellungen „viele Zahnplomben ausschlagen“ (Sport+) und „etwas weniger Zahnplomben ausschlagen“ (Sport) kennt und die Räder auf von Flickenteppichen gesäten Straßen auf der Suche nach Traktion nur so über die Oberfläche fliegen, statt mit ihr in Kontakt zu stehen, trägt dazu bei, dass man sich mit dem SLS AMG Black Series nicht auf jedem Asphaltband gut aufgehoben fühlt. Die enorme Fahrzeugbreite und die schier unbändige Kraft von 635 Nm tun ihr übriges dazu.
Und dann kommt, was kommen musste: die Straße trocknet ab, die Michelin nähern sich das erste Mal einem arbeitsfähigen Temperaturbereich und plötzlich spürst du das Auto arbeiten. Plötzlich vergisst du deine Angst und du staunst über die phänomenal gute Arbeit, welche die Vorderachse jetzt zu verrichten im Stande ist. Die Hinterräder keilen nicht mehr beim kleinsten Gasstoß aus. Das elektronisch gesteuerte Sperrdifferenzial, das variabel im Zug- und Schubbetrieb agieren kann, darf aus den Serpentinen heraus hinunter in ein kleines, badisches Dorf das erste Mal zeigen, dass eben doch nicht einfach alles zu viel ist, was sich da über die Hinterachse hermacht. Das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe „Speedshift DCT“ feuert ungnädig einen Gang nach dem anderen nach – jeder Zug an der Schaltwippe quittiert durch einen Schlag in den Nacken und einem absurd brutalen Knallen, welches einem das Gefühl gibt, dass mit jedem Gangwechsel ein Stück des Katalysators aus der Abgasanlage zu brechen scheint.
Da ist es dann. Das Gefühl, das Wissen, dass der SLS AMG Black Series mehr kann, als nur ein obszönes Muscle Car zu sein. Vergessen ist die Tatsache, dass die Fahrwerksabstimmung allerhöchstens auf der Rennstrecke Sinn macht. Vergessen ist der Umstand, dass das Teil eigentlich zu groß, zu schnell, zu brutal ist, um sich damit in engen Kurven durch den Schwarzwald zu fräsen. Vergessen ist die Angst vor diesem Ungetüm. Es überwiegt nur noch ein absolutes Gefühl des Glücks. Und dann ist der Zauber auch schon wieder vorbei, die Schlüssel gehen wieder zurück und ich freue mich, nach dem C63 Edition 507 wenigstens einmal noch dieses Motorenmeisterwerk der Kategorie „kann auch ohne Luftpumpe“ gefahren sein zu dürfen – und Reifen und Bremsen wenigstens kurz auch auf Betriebstemperatur gebracht zu haben.
Unterwegs war ich übrigens wieder mit Axel, der hat seine Erlebnisse mit dem SLS AMG Black Series bei radical-mag unter dem Stichwort „Übersättigt“ in Worte gefasst, Fabian von autophorie beschreibt seine Angst in diesem Fahrbericht.
Text: sb
Fotos: sb
Technische Daten
Mercedes-Benz SLS AMG Black Series
- Motor-Bauart:
- 90° V8 Saugmotor DOHC Bohrung/Hub 102,2 x 94,6 mm, Verdichtung 11,3:1
- Hubraum:
- 6.208 cm³
- Leistung:
- 464 kW / 631 PS bei 7.400 U/Min
- Drehmoment:
- 635 Nm bei 5.500 U/Min
- Höchstgeschwindigkeit:
- 315 km/h
- Beschleunigung (0-100 km/h)
- 3.6 Sekunden
- Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
- 19.9 L / 9.3 L / 13.7 L SuperPlus (ROZ 98)
- Grundpreis Mercedes-Benz SLS AMG Black Series:
- 249.000 €
- Leergewicht:
- 1.550 kg
- Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
- 4.638 mm / 1.939 mm / 1.262 mm
Disclosure zur Transparenz
Ich wurde von Mercedes-Benz nach Rust eingeladen. Reisekosten, Verpflegung und Übernachtung wurden von Mercedes-Benz übernommen. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.
8 Kommentare
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