Dass Lotus knallharte Sportwagen bauen kann, ist hinlänglich bekannt. Es ist nichts weniger als Lotus‘ Herkunft. Es begann mit Rennautos und führte zu radikalen Sportwagen für die Straße, begonnen mit dem Lotus Seven. Aber es gab durchaus auch immer mal wieder etwas gemächlichere, etwas entspanntere Fahrzeuge aus dem ost-englischen Norfolk, wie beispielsweise den Lotus Elite, Europa oder – nicht zu vergessen – den legendären Esprit. Die meisten davon floppten, doch der aktuelle Gran Turismo aus dem Hause Lotus kann sich beweisen: der Evora. Oder die Evora? Die Engländer machen es sich mit dem geschlechtsneutralen Artikel „the“ ja etwas einfach, ich bleibe jetzt einfach bei der maskulinen Form. Evora, ein GT also. Gemächlich? Davon kann gar keine Rede sein!

Lotus Evora S

Es ist schon erstaunlich, was man aus ein und dem selben Aluminiumrahmen alles so machen kann. Der Rahmen, der bereits für die Lotus Elise die Grundlage bildet, stellt auch das Grundgerüst des Evora dar, bloß mit zusätzlichen Trägern im Front für ein Mindestmaß an Kofferraum und im Heck für den großen Sechszylinder mit Eaton-Kompressor. Wer einmal in einer Elise saß oder einfach nur zusehen durfte, wie sich jemand dort herausquält, der wird sich wundern, wie komfortabel und großzügig es im Gegensatz dazu im Evora zugehen kann, obwohl er doch den gleichen Rahmen nutzt. Der Einstieg ist im Vergleich zu normalen Autos immer noch beschwerlich, sicher, gelingt dafür aber nun auch ungeübten deutlich einfacher und insbesondere in engeren Parklücken stehen die Chancen besser, innerhalb einer Minute wieder Boden unter die Füße zu kriegen.

Lotus Evora S

Im Cockpit des Evora angekommen, überrascht zunächst einmal die ordentliche Verarbeitung und die schöne Optik der Materialien. Feines Leder, akkurate Nähte, sehr futuristisch anmutende Instrumente, welche nicht mehr nach Plastikdosen aussehen und Sitze bei denen sich zwischen Sitzschale und Lederoberfläche tatsächlich ein paar Millimeter Polstermaterial befinden. Da muss schon die Union Jack herhalten, um zu verdeutlichen, dass es sich um einen echten Engländer handelt. Um sich hingegen zu versichern, dass es sich um einen waschechten Lotus handelt, reicht ein Dreh am Zündschlüssel und – im besten Fall – eine Runde um eine Rennstrecke. Zündschlüssel gedreht, der 3,5-Liter-V6 aus dem Toyota Camry erwacht zum Leben, gut hörbar, aber nicht laut. Die Lotus-Ingenieure haben dem Toyota-Motor zudem die Langeweile abgewöhnt: 258 kW (350 PS), satte 400 NM Drehmoment und ein damit zu erreichender Top-Speed von 269 km/h – der Evora macht klar, dass er auf Augenhöhe der Zuffenhausener spielen will.

Lotus Evora S

Auf geht’s auf die Piste. Ich habe das Glück, die Lotus-eigene Teststrecke in Hethel ganz für mich allein zu haben, keine anderen Autos, nur der Evora S und ich. Das Wetter zeigt sich zwar von seiner britischen Seite, aber was soll’s: ein Lotus, eine Rennstrecke und ich – da kann es auch schneien, den Tag wird es mir nicht versauen. Auf geht’s auf die ersten Runden, Motor warmfahren und Strecke kennenlernen. Schon jetzt fällt auf: der Evora ist auch im ruhigen Betrieb bereits ein wunderbares Fahrzeug. Der Motor verrichtet souverän seinen Dienst, klingt angenehm rau, fällt nicht störend auf. Dank der Kompressoraufladung, welche dem Evora S vorbehalten bleibt, schiebt der Evora auch bereits aus niedrigen Drehzahlen gut an. Schaltfaules, lässiges Cruisen ist also kein Thema, alleine schon weil auch weil sich das Gestühl wunderbar passgenau um den Körper schmiegt und dabei äußerst komfortabel zu bewohnen ist. Die servo-unterstützte Lenkung macht rangieren zum Kinderspiel ist aber gleichzeitig nicht so übertrieben weich abgestimmt, sodass auch noch genug Feedback beim Fahrer ankommt.

Lotus Evora S

Der Motor ist auf Temperatur, über die knackigen Schaltgasse mit echtem Aluminium-Schaltknauf geht es zwei Gänge runter, der V6 darf das erste Mal zeigen, was in ihm steckt: und er schiebt an, er schiebt mächtig an. „Wie ein Lotus mit Druck“ hat mir Kollege Habegger kürzlich noch über den Alfa Romeo 4C vorgeschwärmt. Tja, da haben wir ihn, den Lotus mit Druck: die Kraftentfaltung des aufgeladenen Sechsenders ist famos. Nicht wild, aber genau mit dem richtigen Maß an Reaktionszeit und Drehfreude um das Erklettern der Drehzahlleiter bis über 7.000 Umdrehungen zum Freudenspiel werden zu lassen. Ein Camry-V6 ist zu langweilig für einen Lotus? Bestimmt nicht! Zwar veranstaltet der Evora damit im Cockpit nicht so eine Randale, wie etwa ein Cayman mit Sportabgasanlage, dafür ist er so aber auch höchst langstreckentauglich. Der Dank geht an die Klappenauspuffanlage. Denn trampelt man dann voll auf den Pinsel, entfleucht dem mittigen Endrohr ein heiser-fauchiges Sechszylindergebrüll – einfach herzerwärmend!

Lotus Evora S

Nach den ersten Schikanen auf dem Testtrack geht es auf eine Gerade mit schnellem Rechtsknick, der Evora S beschleunigt mühelos in Richtung 200er Marke, kurz scharf anbremsen, einlenken und das Auto unter Zug halten, weiter beschleunigen, dann hart den Anker werfen und den immerhin 1,4 Tonnen schweren Evora heftig zusammenbremsen, um mit etwa 80 km/h in die Bus-Stop-ähnliche Schikane einzubiegen. Der Evora bremst heftig, präzise und vor allem ohne zu Zucken. Beim scharfen Einlenken wird leicht über die Vorderachse geschoben, das lässt sich aber feinfühlig korrigieren – und sei es nur mit dem Gaspedal. Das ESP – ja auch sowas hat ein Lotus inzwischen an Bord – lässt sich für solche Spielchen mit dem Gaspedal auch zur Gänze deaktivieren, oder zumindest in einen Sportmodus schalten. Ebenso wie auch der Motor selbst, welcher darauf mit aggressiverem Ansprechverhalten und früher ansteigender Ladedruckkennlinie reagiert.

Lotus Evora S

Fazit

Eigentlich kann ich gar nicht genug davon kriegen, den Evora S Runde für Runde um die Strecke zu scheuchen, aber es wartet ja noch ein Exige S Roadster auf mich. Trotzdem, aus dem Evora will ich kaum aussteigen, zu sehr beeindruckt mich das präzise Handling in Kombination mit diesem fein gearbeiteten schönen Innenraum, bei welchem man sogar tatsächlich schon von „komfortabel“ sprechen kann. Sicher, auch das hat seinen Preis. Mit den 1,4 Tonnen ist der Evora S sicher kein rassiges Leichtgewicht mehr, spüren lässt sich davon allerdings wenig. Der Evora ist flink unterwegs, der V6 ist ein äußerst kultivierter Motor und die Fahrleistungen erste Sahne. Fahrdynamisch dürfte der Evora S jedenfalls die Zuffenhausener Konkurrenz in Angst und Schrecken versetzen können das spannendere, interessantere und aufregendere Auto ist der Lotus Evora S aber auf alle Fälle – mal ganz davon abgesehen, dass der Evora einfach wunderschön aussieht.

Technische Daten

Lotus Evora S

Motor-Bauart:
Vollaluminium 3.5 DOHC V6 mit VVT-i und Harrop HTV 1320 Kompressor mit Eaton TVSTM Technologie
Hubraum:
3.456 cm³
Leistung:
258 kW / 351 PS bei 7.000 U/Min
Drehmoment:
350 Nm bei 4.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
269 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
4.6 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
14.2 L / 7.5 L / 9.9 L SuperPlus (ROZ 98)

Grundpreis Lotus Evora S:
73.910
Leergewicht:
1.437 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4.361 mm / 2.047 mm / 1.229 mm

Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

2 Kommentare

  1. Hey,

    da du ja selbst Elise-Fahrer bist, würde mich ein Vergleich zur Elise interessieren. Insbesondere was Handling und Kurvengeschwindigkeit angeht.

    • Hey Markus,

      sorry, für die späte Antwort! Kurvengeschwindigkeit lässt sich schwer beantworten, da ich ja im feuchten unterwegs war. Das zusätzliche Gewicht ist aber auf jeden Fall spürbar und auch die Lenkung vermittelt durch die Servo etwas weniger Feedback. Es ist bei schnellen Wechseln spürbar mehr Masse in Bewegung. Ganz so zackig und direkt, wie bei der Elise fühlt es sich folglich also nicht an, dafür punktet der Evora ganz stark, was Komfort angeht, da ist er der Elli um Längen überlegen, bietet aber trotzdem noch ein extrem fahraktives Paket..

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