Ganz so weit vorne, wie die Yamaha MT-07 kann sich die Tracer 700 in der Zulassungsstatistik nicht behaupten. Das macht sie nicht weniger interessant, stellt sie doch gerade auch für größer gewachsene Fahrer eine mögliche Alternative dar, die ein ähnlich flinkes Handling verspricht, wie die unverkleidete MT. Für dieses Jahr steht das neue Modell bereits in den Startlöchern, während die Händler mit guten Rabatten auf das ‘19er-Modell locken. Grund genug also, sich das auslaufende Modell noch einmal genauer anzuschauen.
Mit Einführung der MT-07 im Jahr 2014 hat Yamaha einen wahren Bestseller auf den Markt gebracht. Das Mittelklasse Naked Bike kann sich seither stets in den vorderen Rängen der Zulassungsstatistik behaupten, woran nicht zuletzt auch der famose CP2-Zweizylinder einen großen Anteil trägt. Der Motor überzeugt mit Drehmoment und einem satten Anzug auch aus tiefsten Drehzahlen heraus und – viel besser noch: er ist nicht nur der MT-07 vorbehalten. Die gesamte Yamaha-Mittelklasse darf sich dieses Motors erfreuen, so zuletzt die Ténéré 700 und eben auch die Tracer 700.
Noch dürfen zwei freiliegende Krümmer mit einem kompakten Kat kurz vor dem Sammler ihren Dienst verrichten. Das 2020er Modell kommt dank Euro 5 nun mit einem großen Kat daher. Seit Juli 2016 ist die Tracer 700 auf Basis der MT-07 auf dem Markt. Das sieht man ihr auch an, das kantig-insektoide Design wirkt nicht mehr ganz zeitgemäß.
Für puristische Touristen
Wem die MT zu reduziert ist, darf sich mit der Tracer über ein etwas touristischeres Angebot erfreuen. Dafür wurde der Radstand um 5 Zentimeter verlängert, die Sitzhöhe um knapp 3 Zentimeter auf 835 Millimeter angehoben, das Tankvolumen um 3 Liter vergrößert und das Fahrwerk vorn wie hinten etwas angepasst. Dazu gibt’s das übliche Tourenzubehör, so nimmt das Windschild Druck vom Oberkörper und im Zubehör lassen sich auch Koffer, Heizgriffe und mehr für die Tracer ordern. Davon darf man sicher aber nicht täuschen lassen, denn auch die Tracer 700 greift das Konzept “Sporttourer in hoch” (die Engländer sprechen gerne vom “Tallrounder”) durchaus von der eher minimalistischen Seite auf: Tempomat, TFT-Cockpit und Co sucht man hier vergebens. Ob es all das überhaupt braucht, darf freilich jeder für sich entscheiden, doch auch in Bezug auf die Zuladung ist die Tracer 700 etwas knauserig. Mit 171 kg maximaler Zuladung bleibt sie eher ein Solo-Tourer, sofern man nicht auf etwas Gepäck verzichten möchte. Das war’s dann im Grunde aber auch schon mit den Schattenseiten. Denn die Sonne scheint draußen auf der Landstraße und in den Bergen. Und dort scheint sie mächtig hell.
Das LC-Display ist schlicht – und auch nicht mehr sonderlich modern. Immerhin ist es auch im Sonnenlicht gut ablesbar. Diesen Kranausleger kann man nur scheußlich finden. Aber er erfüllt seinen Zweck: Mit dem Flügel nahe des Kennzeichens ergibt sich in Kombination mit der langgezogenen Rückleuchte eine ausreichende Überlappung, um auch im Regen Spritzwasser vom Fahrerrücken fernzuhalten. Das Cockpit wirkt etwas zerklüftet. Praktisch ist allerdings der (optionale) Verbindungssteg (52 Euro) über der Gabelbrücke, der eine einfache Navi-Montage ermöglicht.
Das liegt in erster Linie an dem leichtfüßigen Handling. Egal, wie eng die Kurven sind, die Tracer wirft sich flott und präzise in Schräglage, erfordert keinerlei Korrekturen und bleibt im gesamten Kurvenverlauf zielgenau auf Kurs. Dank geht an die Basis der MT-07, welche mit der richtigen Detailarbeit auf den Tallrounder-Einsatz angepasst wurde: Die Gabel bekam andere Federraten und eine neue Dämpferabstimmung spendiert, die Schwinge im Heck wurde für mehr Touring-Stabilität um fünf Zentimeter verlängert und der Federweg am hinteren Federbein um 12 Millimeter erhöht. In der Summe macht das die Tracer etwas ruhiger im Handling, ohne spürbar etwas vom wieselflinken Charakter der 07 einzubüßen. Im Gegenteil scheint die Auslegung auf etwas höhere Lasten dem notorisch unterdämpften Heck der nackten Schwester sogar positiv entgegenzuwirken: Die Tracer 700 fühlt sich in Kurven auf welligem Asphalt deutlich ruhiger und stabiler an und das lästige Schaukelpferdchen wurde spürbar besänftigt. Trotz allem liegt die Abstimmung der Tracer sehr viel mehr auf der komfortorienterteren Seite, was sie gleichzeitig sehr zugänglich macht. Überraschungen, wie man sie als Pilot einer superspitz sportlich abgestimmten Maschine manchmal auszubügeln hat, schluckt die Tracer einfach weg. Und selbst wenn du es mal etwas übertreibst und in der Kurve das Tempo korrigieren musst, kooperiert sie willig mit geringem Aufstellmoment.
Quicklebendige Bergziege
Beim Motor bleibt mir nicht viel anderes übrig, als auf die üblichen Lobeshymnen mit einzustimmen. Er ist ein Reihenzweizylindermotor mit 270 Grad Hubzapfenversatz. Daher auch der Name “CP2”, wobei CP für die Crossplane-Bauweise steht, wie man sie auch von V8-Motoren kennt. Der daraus resultierend unregelmäßige Zündabstand sorgt für einen V2-typischen Sound, der zugegebenermaßen in gewissen Drehzahlbereichen auch etwas nach Rasenmäher beziehungsweise Gokart klingt. Von der wenig spektakulären, damit aber sozialompatiblen Akustik einmal abgesehen, ist der Antrieb aber ein Garant für Fahrspaß und hohem Alltagsnutzen. In den Bergen musst Du quasi nie in die Eins und drückst dich bei niedrigen Drehzahlen im zweiten Gang lässig aus der engsten Ecke heraus. Gerade enge Serpentinen werden damit zur echten Freude und die Tracer zur wahren Bergziege. In Wechselkurven surfst du ebenso schaltfaul dahin und hast dennoch immer ausreichend Drehmoment zur Hand, wenn die Geschwindigkeit mal nach oben korrigiert werden soll. Bis 8000 Umdrehungen schiebt der CP2 angenehm an, bevor ihm allmählich die Luft ausgeht. Die per Seilzug bediente Kupplung benötigt wenig Bedienkraft und lässt sich präzise und flott steuern, um zackig auf die nächste Welle zu wechseln, was auch am Schalthebel stets leichtfüßig und meistens treffsicher vonstatten geht.
In Kurven fühlt sich die Tracer 700 pudelwohl. Gerade aus engeren Kehren fügt sich der Motor auch hervorragend ins Gesamtbild und drückt in jedem Gang locker aus dem Kurvenausgang. Die Nissin-Bremsanlage macht zwar auch in den Bergen nicht schlapp, fühlt sich aber auch nicht sonderlich bissig an. Kraftwerk und Freudenspender: Der CP2-Motor, ein Reihenzweizylinder mit 270 Grad Hubzapfenversatz begeistert mit sattem Drehmoment auch aus niedrigen Drehzahlen. Einzig etwas mehr Schräglagenfreiheit würde man sich in den Kurven wünschen – die Angstnippel pflegen bereits recht früh Kontakt mit dem Asphalt.
Auch hier folgt die Tracer dem eher minimalistischen Konzept Yamahas kompletter Mittelklasse: Ein ABS unterstützt die gefühlt etwas stumpfen Bremsen, beim Rest ist aber stets der Pilot Herr der Sache. Schräglagen-ABS, Fahrmodi, Traktionskontrolle, Anti-Hopping-Kupplung oder Quickshifter sind nicht an Bord, braucht’s aufgrund ihres wenig fordernden Charakters auch gar nicht. Kritisieren lässt sich höchstens die Programmierung der Einspritzanlage, die schon mal etwas motiviert lospumpt, sobald der Gashahn berührt wird, wodurch in den Gängen 1-3 recht ruppig Kraft an die Kette gelegt wird.
Langstreckenkomfort mit Makeln
Mit der um drei Zentimeter auf 835 Millimeter gewachsenen Sitzhöhe bei gleichbleibender Fußrastenposition, ist der Kniewinkel deutlich entspannter als bei der MT und passt zur insgesamt eher aufrechten Sitzposition, die auch durch den höher liegenden Lenker ermöglicht wird. Dass ich mich auf längeren Etappen über die Autobahn irgendwann trotzdem unwohl gefühlt habe, liegt an der Gestaltung der Sitzbank. Im hinteren Bereich ist diese zwar breit genug ausgeformt, sie ist aber nach vorn abfallend gestaltet, so dass man immer wieder an den Tank rückt und sich das Körpergewicht damit auf eine nur recht geringe Fläche verteilt – und das trotz optionaler Komfortsitzbank.
Die lange Reise über die Autobahn wird aber nicht nur dadurch etwas getrübt. Auch der Windschutz ist etwas suboptimal gestaltet, trotz des bereits aus dem Zubehör verbauten größeren Windschilds. Den eigentlichen Zweck eines Windschutzes erfüllt das gut, es nimmt ordentlich Druck vom Oberkörper und man muss sich auch bei höheren Geschwindigkeiten nicht am Lenker festkrallen oder den Oberkörper in den Wind legen. Problematisch sind aber die starken Verwirbelungen, die hinter der Scheibe entstehen und mit voller Wucht auf den Helm prallen. Das verursacht nicht nur sehr laute Windgeräusche, selbst in gut gedämmten Helme, sondern auch Vibrationen, die auf Dauer reichlich anstrengend werden. Natürlich ist das Windschild auch in der Höhe verstellbar, allerdings müssen dafür zwei Handschrauben gelöst werden – nichts also, was man mal eben während der Fahrt tun könnte.
Das Cockpit der Tracer 700 fällt äußerst schlicht aus, bietet aber alles, was es grundsätzlich zum Fahren benötigt. Eine simple LC-Segmentanzeige versorgt den Piloten mit den nötigsten Infos: Drehzahl, Geschwindigkeit, Tankfüllstand, Uhrzeit und ein kleiner Bordcomputer mit Tripzähler und Verbrauchsanzeige sind vorhanden. Darüberhinaus ist in der äußeren Cockpitverkleidung Platz, eine Bordsteckdose zu verbauen und damit ein Navi zu bestromen, dass sich bestens auf dem aufpreispflichtigen Verbindungssteg (52 Euro) oberhalb der Gabelbrücke montieren lässt. Das freut die Tourenfahrer und macht eine Nachrüstung denkbar einfach.
Blick auf das 2020er Modell
Gänzlich makellos ist die Tracer nun freilich nicht, das macht die Überlegung, ob es die neue oder alte werden soll durchaus interessant. Yamaha scheint bei der neuen Tracer 700 genau dort angesetzt zu haben, wo die alte leichte Schwächen aufwies. Die Sitzbank scheint weniger stark geneigt und das in der Serie bereits etwas höhere Windschild wurde neu gezeichnet mit einer breiteren Ausformung nach oben hin. Das kann bereits dafür sorgen, dass die störenden Verwirbelungen vom Helm fern gehalten werden. Aber vor allem beim Fahrwerk hat Yamaha aufgerüstet und die 2020er Tracer nun mit einer in Zugstufe und Vorspannung verstellbaren Gabel ausgestattet. Dasselbe gilt für das Heck: Im Federbein sitzt jetzt ein in der Zugstufe verstellbarer Dämpfer. Der Radstand wurde durch eine etwas längere Schwinge erneut um 10 Millimeter verlängert, was die Tracer noch etwas stabiler machen dürfte.
Dass sie durch das Update auf Euro 5 und damit einem größeren Katalysator zwar ein Kilowatt an Leistung eingebüßt hat – geschenkt. Dafür hat Yamaha durch zwei zusätzliche Zähne mehr die Endübersetzung verkürzt. Der Spritzigkeit auf engen Bergstraßen dürfte das sehr entgegenkommen, der Langstreckenfahrt auf der Autobahn möglicherweise nicht – das wird der Test klären müssen.
Wie gesagt: schön, dass das dezente Versteck der Blinker unter den Handprotektoren beibehalten wurde. Gespannt darf man sein, wie gut die untenliegenden Hauptscheinwerfer in der Nacht funktionieren. Der Motor, weiterhin der CP2. Allerdings nun mit großem, motornahen Kat, welcher der Optik wegen hinter einem Verkleidungsteil versteckt wird. Das neue Cockpit wirkt insgesamt aufgeräumter. Das Display ist zwar weiterhin nur ein LCD, ist nun aber farbig und wirkt dank invertierter Darstellung deutlich kontrastreicher. Eine Modifikation, die viele MT- und Tracer-Piloten auch bei ihren alten Modellen vorgenommen haben. Die Schale der neuen erinnert mit ihren Lichtschlitzen stark an die R1 und R6.
Zu guter Letzt wäre da noch die Optik, die mit dem neuen Modell deutlich schärfer und modern ausfällt. Das an die R1 und R6 angelehnte Design steht dem Tallrounder hervorragend und die neuen Verkleidungen formen auch ein neues Cockpit, welches sehr viel sauberer und strukturierter wirkt. Freuen darf man sich auch über ein neues Display, welches deutlich moderner wirkt, obwohl Yamaha weiterhin in diesem preisempfindlichen Segment auf ein TFT verzichtet. Im Gegenzug gibt’s dafür LED-Beleuchtung rundum.
So oder so bekommt man mit der Tracer 700 einen Sporttourer, der in Sachen Agilität konkurrenzlos ist in seiner Klasse. Das schmeckt nicht jedem und in mehreren Gesprächen stellte ich fest, dass sich manche Fahranfänger mit dem kippeligen Handling und dem manchmal etwas schlagartig ans Werk gehenden Zweizylinder überfordert fühlen. Routiniers haben werden damit aber ihre Freude haben, auch bei “nur” 75 PS. Dass sie in der Langstreckenwertung etwas Federn lässt, zeigt letztlich aber auch, dass sie eher ein Touring-Kompromiss ist, geeignet für all jene, die wieselflinkem Handling und Fahrspaß den Vorrang geben, aber nicht gänzlich auf Tourenkompetenzen verzichten möchten und dank des 17 Liter fassenden Tanks, sowie dem niedrigen Realverbauch von knapp über 4 Litern, lassen sich immerhin ganz ordentliche Distanzen von deutlich über 300, bis hin zu 400 Kilometern ohne Tankstopp zurücklegen. Ihre spielerische Manövrierbarkeit macht sie darüberhinaus auch zu einem großartigen Motorrad für die Pendelei im Stadtverkehr.
Schnäppchen oder neu?
Muss es die Neue sein? Wie immer kommt es eben darauf an. Wer sich mit der Tracer 700 überwiegend in heimischen Gefilden auf kurvigen Landstraßen und auch mal im Stadtverkehr bewegt, der kann beim Auslaufmodell jetzt gute Schnäppchen machen: Für rund 7.500 Euro finden sich derzeit noch etliche nagelneue 2019er Modelle bei den Händlern, viele davon bereits mit Zubehör ausgestattet. Das ergibt eine satte Ersparnis von 11% gegenüber den 8.499 Euro, die für das neue Modell fällig werden. Wer hingegen häufiger längere Touren unter die Räder nimmt, dem sei ein Blick auf die neue Tracer unbedingt ans Herz gelegt. So oder so: ob man der Optik des neuen Modells widerstehen kann, muss natürlich jeder selbst entscheiden, ein herrlich unterhaltsames Motorrad gibt es in jedem Fall.

Text: sb
Bilder: Susanne Arenz / sb
Wertung
- Fahrdynamik: 6
- Fahrspaß: 8
- Sound: 6
- Verarbeitung: 6
- Komfort: 6
- Ausstattung: 4
- Verbrauch: 8
- Preis/Leistung: 8
- Persönliche Anziehungskraft: 8
Technische Daten
Yamaha Tracer 700
- Motor-Bauart:
- 2-Zylinder-Motor, 4-Takt mit 270°-Hubzapfenversatz (Crossplane), Flüssigkeitsgekühlt, DOHC, 4 Ventile
- Sekundärantrieb:
- Kette
- Hubraum:
- 689 cm³
- Leistung:
- 55 kW / 75 PS bei 9.000 U/Min
- Drehmoment:
- 68 Nm bei 6.500 U/Min
- Höchstgeschwindigkeit:
- 200 km/h
- Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
- k.A. L / k.A. L / 4.3 L E10 (ROZ 95)
- Grundpreis Yamaha Tracer 700:
- 8.195 €
- Testfahrzeugpreis:
- 8.660 €
- Testverbrauch:
- 4.5 Liter / 100 km über 1.809 km
- Leergewicht:
- 196 kg
- Max. Zuladung:
- 171 kg
- Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
- 2.138 mm / 806 mm / 1.270 mm
- Federwege (vorn/hinten):
- 130 mm / 142 mm
- Sitzhöhe:
- 835 mm