Vorurteile sind etwas feines. Gelebte Erfahrung. Von anderen. So sagt es zumindest Josef Hader. Und der muss es schließlich wissen, denn er ist Österreicher. Vorurteile gibt’s zur Corvette auch genug. Grobschlächtig, dick, ungehobelt, wenig ausgefeilt sei sie. Noch dazu das Lieblingsgefährt von Männern aus einem gewissen Millieu. Nur, wirklich wahr scheint keines dieser Vorurteile mehr zu sein. #radical14 klärt auf.
Corvette C7 Stingray

Morgens, irgendwann – viel zu früh jedenfalls – auf der Rennstrecke dem Fahrsicherheitszentrum in Lignières: Der Morgen kalt, die Strecke nass. Nicht die besten Vorraussetzungen für ein gutes Dutzend mächtig bewaffneter Sportwagen. Ich greife nach dem Schlüssel der Corvette als Einstandsfahrzeug und halte das für eine ganz vernünftige Wahl. Die Alternativen wären eine italienische Mittelmotor-Diva mit binärem Ladedruckkennfeld, ein Biturbo-V8 mit 650 PS, eine übergewichtige Raubkatze, ein Flügeltier mit Semislicks, ein schwedischer Familienkombi und: ein Ferrari. Letzteren wollte ich mir für einen besonderen Moment aufheben, also sind 466 PS und 630 Nm Drehmoment an der Hinterachse die offensichtlich vernünftigste Wahl bei diesen Streckenbedingungen.

 

Bequem hat man’s auf jeden Fall in der Corvette. Schon dank der belüftbaren Sitze – wer hätte gedacht, dass ich die bei 10°C noch brauchen werde? Startknopf gedrückt und der wuchtige 6,2-Liter-Smallblock unter der Haube erwacht zum Leben. Kernig und rauh klingt er. Zwar nur ein Smallblock, aber er reicht, um der ganzen Fuhre mit einem Gasstoß alle Regentropfen abzuschütteln.

Auf der Strecke dann: Drama! Der Karren geht quer, zu jeder Zeit. Egal ob mit oder ohne Gas. Es gleicht einem Eiertanz. Und das ist: großartig! Denn, du spürst einfach alles. Dein Hinterteil wird so fein mit Informationen versorgt, als wäre es direkt auf dem Differenzial zwischen den Blattfedern verschraubt worden. Untersteuern kennt die Vette überhaupt nicht. Einlenken reicht, die Hinterachse kommt in Bewegung, der weitere Winkel wird dann lässig mit dem Gaspedal dirigiert.

Und dann gibt es da diese schöne Kurve, die einen Radius von rund 270° hat – also fast einmal komplett herum. Scharf anbremsen, leicht rechts andeuten, nach links einlenken, das Heck setzt sich in Bewegung. Groooooaaaam, ein kurzer Gasstoß und die Hinterachse erhöht den Driftwinkel schnell, aber ohne Ruckeln oder Zuckeln. Ab diesem Punkt ist alles einfach nur noch eine perfekte Symbiose aus Mensch und Maschine. Gegenlenken, kurze Gasstöße, Winkel halten und dann quer in das kurze Geradeausstück hinausbeschleunigen.

Sicher, der Polestar-Volvo mit seinem Allrad fährt gerade Kreise um uns alle, vor allem um die ständig querfahrende Corvette. Aber der schönste Weg durch eine Kurve ist eben nicht zwingend die Ideallinie. Der filigrane Eiertanz lässt sich später, als die Strecke allmählich etwas abtrocknet, auch als filigrane Zeitenhatz weiterführen. Ungehobelt ist da gar nichts. Präzise lässt sich Runde um Runde der Grenzbereich immer weiter ausloten. Fabehalft.

Nur das Getriebe, das erfordert die viel zitierte starke Hand. Hier musst Du noch richtig zupacken. Locker lässig geht da gar nichts, der Schalthebel will mit Nachdruck durch die Schaltgasse bugsiert werden. Eine Willensprüfung sozusagen. “Willst Du überhaupt?”. Druck, Muskel spannen sich an. KLONK! Die Kupplung kommt, der Small-Block brüllt. “JA, und wie ich will!”. Und auch die Kupplung verlangt nach dem richtigen Feingefühl, sonst bockt die große Schwungmasse des mächtigen V8 beim Einkuppeln wie ein Kleinkind.

Ungehobelt und von Gestern? Ganz sicher nicht. So mancher moderner Sportwagen könnte sich einige Scheiben bei der vermeintlich so ewig gestrigen Vette abschneiden: Aluminiumchassis, Kohlefaserdach, Kunststoffkarosserie, Doppelquerlenker mit querliegenden Blattfedern und adaptiven Dämpfern, Direkteinspritzung, Zylinderabschaltung, Siebengang-Handschaltung. Die Corvette C7 ist ein feines, feines Stück Technik und ein unfassbar unterhaltsames noch dazu. Ihre Vorurteile zerpflückt die C7 mit nur einer Runde auf der Rennstrecke im Nu. Nichts anderes sagt der Chali, nichts anderes sage ich.

Bliebe also noch ein Vorurteil übrig: Was ist mit den Männern aus dem Millieu? Nun, die fahren doch inzwischen sowieso lieber einen Mercedes. Wie aber Fabi schon sagt: das muss jetzt nur noch bei den Müttern ankommen.

Text: sb
Fotos: Patrick Corminboeuf/Walter Pfäffli/Tobias Heil

Technische Daten

Corvette C7 Stingray

Motor-Bauart:
LT1 6,2L 90° V8 mit Benzindirekteinspritzung, variabler Ventilsteuerung und Zylinderabschaltung
Hubraum:
6.162 cm³
Leistung:
343 kW / 466 PS bei 6.000 U/Min
Drehmoment:
630 Nm bei 4.600 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
290 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
4.2 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
13.8 L / 8.1 L / 12 L Superbenzin (ROZ 95)

Grundpreis Corvette C7 Stingray:
69.990
Leergewicht:
1.539 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4.493 mm / 1.877 mm / 1.239 mm

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

14 Kommentare

  1. Nun ja…….
    „Zündschlüssel links, so ein bisschen Rennsport muss halt sein,“
    Keyless go mit startknopf RECHTS !! Da träumt der Autor wohl noch von einem Flachkäfer 🙂

    • Keyless-Go und Startknopf rechts – klar. Allerdings habe ich aus irgendeinem Grund fest in der Erinnerung verankert, dass sich links ein Steckfach für den Schlüssel befand. Finde allerdings keine passenden Bilder um das zu bestätigen oder zu widerlegen. Daher Dankeschön für den Hinweis.

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