Wenn die Mutter aller Rennstrecken ruft, dann lässt man sich nicht bitten. Auch nicht, wenn man nur noch 20 Minuten entfernt wohnt. „Die perfekte Runde gibt es auf der Nordschleife gibt es nicht“, sagt man sich unter Rennfahrern. Und wie könnte man das besser herausfinden, als über zwei Tage im Rahmen des Sport Auto Perfektionstrainings am Steuer eines Porsche 718 Cayman S?
Die Eifel kennt keine Gnade. Auch nicht am ersten Morgen des Sport Auto Perfektionstrainings. Nässe und Kälte geben sich die Ehre, hüllen die Wälder um die Grüne Hölle in ein grau schimmerndes Kleid und sorgen vor allem für eines: Nasse Strecke. Bei 350 PS, Hinterradantrieb und Mittelmotor gibt’s freilich angenehmere Streckenbedingungen. Sei’s drum. Ein Fahrtraining macht man schließlich, um etwas zu lernen. Und wo könnte man das besser, als auf einer nassen Nordschleife? Ein wenig Gottvertrauen in die Linienwahl des Instruktors wird’s schon richten. Ein unerfahrener ist er definitiv nicht. Den Namen Timo Kluck kennt man unter anderem, wenn es um die Rekordfahrt für den Porsche 918 Spyder geht. Nein, Timo ist nicht die Rekordrunde von 6:57 Minuten gefahren, fuhr als teil des Rekordkaders aber die zweitschnellste Zeit. Bei Porsche arbeitet er als Entwicklungs- und Testfahrer und führt uns die nächsten zwei Tage über die Nordschleife.
Am Morgen starten wir in ein paar erste entspannte Sichtungsrunden. Sich langsam an die Streckenverhältnisse herantasten lautet das Motto. Wer einmal im Nassen Eingangs Kallenhard auf der Ideallinie anbremsend der Leitplanke entgegenschlidderte, hat am eigenen Leib erfahren, wie wertvoll ruhige Einführungsrunden, gerade bei wechselnden Streckenbedingungen, sein können. Regenlinie, auf der Nordschleife bedeutet das – grob gesagt – die Ideallinie nur so selten wie möglich zu kreuzen, fahren wir heute nicht. Dafür trocknet die Strecke dank ausbleibenden Regens glücklicherweise zu bald ab.
Nordschleife im Nassen – Lerneffekt garantiert
Unsere Gruppe ist bunt gemischt: ein britischer Kollege fährt ein gelbes 911 Carrera 4S Cabriolet, daneben befinden sich ein Cayman GT4, ein handgerissener 911 GTS und ein miamiblauer 718 Cayman S in der Gruppe. Die Nordschleifenerfahrung in unserer Gruppe reicht von nicht vorhanden bis hin zu etwa 300 Runden, die ich auf dem Kerbholz habe – bunter könnte das Feld kaum gemischt sein.
Wer nun fürchtet, mangels Erfahrung in der Gruppe, wird es beim gemächlichen Tempo bleiben, der irrt. Timo zeigt sich als routinierter Instruktor, passt nach jedem Positionswechsel – jede Runde fährt jemand anderes unmittelbar hinter dem Instruktor her – das Tempo neu an. Ein paar Sektionen am Stück werden flott gefahren, der Rest der Gruppe anschließend wieder gesammelt. So und dank des ständigen Wechselspiels hat man immer wieder andere Abschnitte, die man ganz in „seinem“ Tempo fahren kann.
Doch gerade die Runden, in denen man sich zu Beginn noch ausgebremst fühlt, zeigen sich als besonders wertvoll. Mit jeder Iteration kannst Du den Bremspunkt genauer finden, den Einlenkpunkt genauer setzen, verschiebst Du den Kurvenscheitelpunkt etwas mehr dorthin, wie du mehr Schwung aus dem Eck mitnehmen kannst. So sortierst Du dir Runde für Runde eine neue, bessere Linie zurecht, auf die Du zuvor vielleicht nie gekommen wärst, weil Du immer viel zu sehr damit beschäftigt warst mit knappen 100% irgendwie die Biege zu machen ohne die Fuhre im Bongard Club einzuschreiben.
4 Runden üben, Runde 5 muss sitzen
4 Runden hast Du also Zeit, bis Du wieder hinter dem Instruktor stehst. Das Tempo wird allmählich gesteigert, die Strecke trocknet zudem ab – wirklich kritisch ist es nirgends mehr. Das Anklopfen im Heck seines Elfers kommt bei Timo an und er legt eine Schippe nach. Jetzt kann ich erstmals ausprobieren, ob ich die von Timo abgeschaute Linie Ende Hatzenbach, Eingangs Hocheichen auch mit ordentlich Tempo noch zeichnen kann. Ja, auch nach 300 Runden erlebt man noch immer wieder diese Momente, in denen Du lachend und jubilierend im Auto sitzt, wenn Du merkst, dass die neue Linie sitzt und es sich alles besser anfühlt, als noch vor dem Training. Wenn Du viel weniger Unruhe in der Fuhre hast, die Arschbacken nicht mehr ganz so fest zusammenkneifen musst.
Solche Aha-Erlebnisse erlebt man während dieser zwei Tage ständig. Sei es eine neu einstudierte Linienwahl oder der Moment, als Du das erste Mal allen Mut zusammennimmst und den Pinsel über die Schwedenkreuzkuppe ganz fest unten lässt, um erst danach mit einem kurzen und bestimmten Bremsimpuls etwas Tempo für die Links hinauszunehmen. Zu lernen gibt es immer etwas. Dass Du den Hobel bei 264 Sachen nicht schräg über die Kuppe springen lassen möchtest, ist eine äußerst einprägsame Lektion, die neben einer braunen Unterhose auch für eine gehörige Portion Demut sorgt. Wenn Du’s beim nächsten Mal aber richtig machst, mit noch etwas mehr Tempo über die Kuppe fliegst und das Auto wunderbar ruhig landet, dann sind das für normale Menschen nur schwer nachvollziehbare Glücksgefühle.
An Druck mangelt’s dem 718 Cayman S nicht, um solche Momente wieder und wieder auszulösen. 350 PS, vor allem aber 420 Nm Drehmoment sind es, die der Vierzylinder-Turboboxer auf die Kurbelwelle drückt. Das klingt nun zwar nicht mehr so fantastisch sechszylindrig und kreischt nicht mehr so heiser-sägend auf die Siebentausend zu, doch an Effektivität mangelt es dem neuen Triebwerk kaum. Das merkst Du hier auf der Nordschleife ganz besonders. Denn so viel langsamer ist der 718 querdynamisch nicht, als etwa der GT4 im Felde. Doch aus den Ecken heraus, wenn der 718 dem GT4 mit dem Drehmomenthammer eins überbrät, schaust Du hinterm GT4-Volant doch etwas deppert aus der Röhre. Dafür hast Du im 718 eben nicht nach jedem Gangwechsel einen Gänsehautmoment mehr, wenn die sechs Pötte die höchsten Oktaven ihres heiseren Tenors anstimmen.
Drehmomenthammer vs heiserer Tenor
Am Ende eines solchen ersten Tages fragt man sich dann schon, wie viel besser es eigentlich noch werden kann. Aber auch Tag 2 weiß, wie man ordentlich abliefert. Das Wetter könnte kaum besser sein, ein warmer Oktobertag, die Sonne lässt sich blicken, die Strecke ist trocken. Bis zur Mittagspause führt Timo unsere Gruppe wieder über die Nordschleife. Nachdem man beim Einschlafen die Ideallinie mit geschlossenen Augen weiter studiert hat, wird heute das Tempo weiter angezogen. Der krönende Abschluss jedoch kommt dann nach dem Mittagessen: freies Fahren. Offene Döttiginger Höhe und hinter dem Instruktor wird höchstens noch mit zwei Fahrzeugen gefahren.
Zusammen mit dem britischen Kollegen Zaid, welcher mit schwerem Fuß und ganz viel Herz auf seine ersten Nordschleifenrunden ungemein flott unterwegs ist, bilden wir das Duo, das sich nun von Timo durch den Verkehr ziehen lässt. Die erste Runde geht zu Ende, wir tauschen die Position und ich ordne mich in Timos Windschatten ein, während wir mit 270 den Linksknick über die Kuppe der Antoniusbuche nehmen und auf den Tiergarten zustürmen. Kurz anbremsen, stabilisieren und unter Zug durch die Hohenrainschikane und dann kräftig Tempo rausnehmen, um nach T13 abzubiegen. Da sind sie wieder, diese unbeschreiblichen Glücksgefühle! Viel Zeit zum Freuen bleibt aber nicht, Timo nimmt auch hier wieder das gelegentliche Wühlen im Heck seines Elfers als das wahr, was es ist: ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Timo lässt den Hammer fallen
Im Parallelflug geht es durch Hatzenbach, über das Schwedenkreuz, runter in die Fuchsröhre. Die Funkstille verrät es: Timo hat nun wohl das erste Mal über die zwei Tage beide Hände am Lenkrad, schneidet mit dem Elfer durch den Asphalt. In der Steilstreckenkurve verliere ich plötzlich etwas Luft. Die Vorderreifen des ohnehin tendenziell leicht untersteuernden Cayman sind nach dieser langen Qual allmählich am Ende, der 911 kann hier konzeptbedingt früher und aggressiver ans Gas. Und spätestens nach der Anfahrt zur hohen Acht wird klar, dass Timo nun endültig den Hammer fallen lässt. Reifen hin oder her, der gute Timo würde mir jederzeit um die Ohren fahren und rückt kurz die Machtverhältnisse auf der Strecke gerade. Langsam sind wir trotzdem nicht: 7:47 stehen für die Bridge-to-Gantry-Runde im Laptimer des Sport Chronographen an Bord des 718 Cayman S. Große Freude – das 8-Minuten-Ziel habe ich endlich geknackt. Deutlich. Schwarz auf Weiß!
Während die Kollegen nun bereits alle abreisen, nutze ich den Heimvorteil, um allein im Verkehr noch ein paar gemütliche Runden mit dem Cayman zu drehen. Die Reifen an der Vorderachse sehen bereits übel mitgenommen aus, haben zur Flanke kaum noch Profil auf den Gummis. Etwas mehr Sturz täte dem Cayman auf der Nordschleife sicher gut. Egal, 3-4 gemütliche Runden sollen es noch werden, dafür reicht’s noch.
Cayman jagt M2
Ich fahre auf die Strecke, beschleunige an der Antoniusbuche hinunter. Und dann ist er da. Ein blauer M2. Ich folge ihm. Warum auch nicht? Nachdem ich ihm beim Anbremsen auf die Hohenrainschikane deutlich näher kam, rechne ich fast damit, dass er mich überholen lässt – tut er aber nicht. Und da ist plötzlich, der Drang all das, was man die letzten zwei Tage gelernt hat, noch ein letztes Mal umzusetzen. Der M2 beginnt zu schwimmen, der Fahrer ist am Schuften, ich tue es ihm gleich. Es ist ein Fest mit anzusehen, wie der M2 mit Gewalt auf der Strecke gehalten wird, wie der Fahrer den Bajuvaren durch den Hatzenbach tänzeln lässt, das Heck immer in Bewegung.
Wir fliegen zusammen über’s Schwedenkreuz, rein in die Arembergkurve und hinunter in die Fuchsröhre. Wieder kann ich etwas gelerntes umsetzen, halte mich nach dem letzten Knick vor der Senke weit rechts und ziehe von dort wieder den Berg hinauf. Im Adenauer Forst kämpft der M2-Reiter wieder, versucht alles Tempo mitzunehmen, ohne Vortrieb im Rauch verpuffen zu lassen und dann kommt der Moment: Blinker rechts, er lässt mich vorbei. Vor lauter Aufregung verpasse ich im Metzgesfeld den Bremspunkt, kann danach aber langsam den Vorsprung zum M2 ausbauen.
Ich beende die Runde mit einer 7:40 auf der Uhr und kann es selbst kaum glauben, schlage vor Freude nach der Gantry an der Döttinger Höhe auf’s Lenkrad und schreie vor Glück. Ohne einen Leon Cupra, der mich nach einem Videovergleich einige Sekunden gekostet hat, hätte es eine niedrige 7:30er-Zeit werden können. Hätte. Hätte, wäre, wenn. Die perfekte Runde auf der Nordschleife gibt’s eben nicht. Entweder, weil Du dich im Metzgesfeld verbremst, weil Du am Flugplatz vom Untersteuern überrascht wirst oder weil eben ein anderer vor Dir für sich auf der Suche nach seinem nächsten Glücksmoment ist. So ist es eben auf der Nordschleife.
Die perfekte Runde Nordschleife?
Später im Fahrerlager versammeln sich ein paar Männer hinter dem Cayman, fragen nach der Motorleistung, schauen etwas ungläubig ob der 350 PS. Unter ihnen ist der Besitzer des M2, dessen 420 Hamann-Pferde alle Mühe mit dem Cayman hatten. Sein Fahrer, ein VLN-Meister und Instruktor, wollte dem Teilnehmer eigentlich zeigen, was der M2 zu leisten im Stande ist. Von Bissspuren im Lenkrad des M2 war die Rede. Es sind diese Fahrerlagergespräche, die einen Trackday eben auch immer zu etwas besonderem machen. Und da ist er wieder: dieser Moment des Glücks. Die perfekte Runde Nordschleife gibt es vielleicht nicht, das perfekte Glück aber schon. Dieses Glück, dass Du so eben nur auf der Rennstrecke findest.
Video der 7:40 Nordschleifen-Runde
Text: sb
Bilder: Rossen Gargolov für Porsche; sb
Technische Daten
Porsche 718 Cayman S
- Motor-Bauart:
- Vierzylinder DOHC Boxermotor mit VTG Lader und Direkteinspritzung
- Hubraum:
- 2.497 cm³
- Leistung:
- 257 kW / 350 PS bei 6.500 U/Min
- Drehmoment:
- 420 Nm bei 1.900 – 4.500 U/Min
- Höchstgeschwindigkeit:
- 285 km/h
- Beschleunigung (0-100 km/h)
- 4.4 Sekunden
- Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
- 9.5 L / 6 L / 7.3 L SuperPlus (ROZ 98)
- Grundpreis Porsche 718 Cayman S:
- 65.189 €
- Testfahrzeugpreis:
- 99.710 €
- Leergewicht:
- 1.460 kg
- Max. Zuladung:
- 310 kg
- Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
- 4.379 mm / 1.801 mm / 1.295 mm
Disclosure zur Transparenz
Ich wurde von Porsche nach Nürburg an die Nordschleife eingeladen. Reisekosten und Verpflegung wurden von Porsche übernommen. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.