Testfahrten und Fahrzeugpräsentationen sind so eine Sache. Meistens sind wir Motorjournalisten und Auto-Blogger völlig ratlos. Denn: uns fehlt der Vergleich. Ohne sinnvolle Bezugsgröße sind wir Menschen schon nicht in der Lage vernünftige Schätzungen abzugeben. Noch viel mehr lassen wir uns von völlig wahllosen gedanklichen Ankern beeinflussen. Fragt man eine Person nach der Bevölkerungszahl Afrikas und lässt beiläufig die Zahl 3 fallen, wird die Antwort ziemlich sicher im Bereich der 3 Milliarden liegen. 1,11 Milliarden sind es übrigens.

Renault Megane R.S. 275 Trophy-R

Und so ist das dann auch mit den Fahrveranstaltungen: da treibt man einen Golf GTI irgendwo über die französischen Seealpen und denkt sich: der geht ja ganz fein. Nach vorn und ums Eck. Und dann wurden in der Pressekonferenz zuvor noch ein paar tolle Anker gesetzt, wie sehr sich dieses und jene tolle System beim Einlenken bemerkbar macht und du denkst: “Ja, ist ja toll. Funktioniert”.

Autofahren ohne Vergleich

Sicher, hier und da schafft man es – mal mehr, mal weniger – die fahrdynamischen Qualitäten dennoch ganz gut einzuordnen. Axel und mir ist das beim RS3 offenbar ganz gut geglückt, denn unsere Eindrücke wurden wenige Wochen später auch in ersten Vergleichstest auf Rennstrecken in England und Deutschland bestätigt.

Renault Megane R.S. 275 Trophy-R

Bis vor 3 Jahren war ich selbst Besitzer eines Renault Megané RS. Etliche Runden auf der Nordschleife haben wir gemeinsam hinter uns gebracht und verkauft habe ich ihn nur, um mir meinen Traum vom Lotus zu erfüllen. Seinerzeit war klar: der Megane RS ist einfach ein Hot Hatch der übelsten Sorte. Traumhaft agil, wendig und schnell. Richtig schnell. Aber vor allem eines: ehrlich.

In der Zwischenzeit war ich dann mit der Zeit auf einigen Fahrveranstaltungen unterwegs, hatte einige Testwagen und dachte mir stets: eigentlich sind die ja inzwischen alle ziemlich gut. Der Megané kann vielleicht etwas mehr Drama, aber die anderen sind ja alle auch schon ganz vernünftig schnell. Zu sehr wird man auch von Lobeshymnen aus der Presse auf A45 AMG, Leon Cupra R, Civic Type R & Co eingelullt, denn sie unterliegen dem gleichen Problem: einer Momentaufnahme ohne Relation, ohne Vergleich.

Sich erden im Megané RS

Szenewechsel: Clemens und ich sind in der Eifel, genauer gesagt in Adenau. Hier beim Autohaus Kirfel bekommen wir nämlich den Schlüssel zu einem Renault Megane RS Trophy-R. Patrick Kirfel betreut hier für Renault die Presseflotte der RS-Modelle. Nicht ohne Grund: denn hier kennt man sich nicht nur mit den französischen Rennern aus, sondern hat auch weitreichende Erfahrungen auf der Nordschleife und besondere Kompetenz, wenn es darum geht, das richtige Fahrwerkssetup zu finden.

Und genau das findet sich an unserem Testwagen vor. So oder so ist der Megané RS Trophy-R in dieser schärfsten Ausbaustufe bereits mit einem verstellbaren Öhlins-Fahrwerk gesegnet. Dazu gibt es feinste Pirelli P-ZERO Trofeo R Semislicks. Außerdem wurden Spur und Sturz eigens angepasst und die Dämpfer voll auf Nordschleife optimiert. Dazu wird per Softwareoptimierung noch das ein oder andere Pferdchen zusätzlich eingespannt.

Innen ist alles für den nächsten Trackday vorbereitet: keine Rückbank, keine Kofferraumabdeckung, keine Allerweltssitze. Stattdessen: Recaro Pole Position Carbon-Vollschalensitze und 4-Punkt-Gurte – letztere unglücklicherweise ohne Straßenzulassung. Zur Gewichtsoptimierung gibt es Schmiedefelgen und eine Akrapovic-Abgasanlage.

Fauchen, Knattern – Bang, Boom, Bang!

Einsteigen, Startknopf drücken. Der Turbo-Vierer erweckt mit einem seichten Brummen zum Leben. Erinnerungen! Was aber passiert, sobald der Motor Betriebstemperatur erreicht hat, holt mich mit voller Wucht auf den Boden der Hot-Hatch-Tatsachen zurück und war so irgendwie nicht in meinem Langzeitgedächtnis hinterlegt. Wie konnte ich dieses Gefühl nur vergessen? Der Franzose stürmt mit einer Vehemenz nach vorne, dass plötzlich alle Sinne so dermaßen gefordert sind, wie man es von einem heutigen Auto gar nicht mehr gewohnt ist. Irgendwo zwischen “Ohmeingottohmeingottohmeingott” und “Ach du heilige …” reißt der Trophy-R Furchen in den Asphalt, der Kopf voll darauf konzentriert, die massiven Kräfte am Lenkrad unter Kontrolle zu halten, während der Motor schon wild schnatternd in den Begrenzer stürmt. Und urplötzlich begreifst Du, warum so viele Autos, die man in den letzten Jahren gefahren ist, hinter diesem Megané anstehen.

Der Megané RS liefert. Und das gewaltig. Ein Kino, ein Drama, das man selbst in der Klasse deutlich über 400 PS nur noch ganz selten erlebt. Der Motor schwingt eine massive Drehmomentkeule und untermalt den Schwung mit einem ungezügelt lautem Fauchen. Ohne Rückbank, ohne Kofferraumabdeckung, verstärkt durch die Akrapovic-Anlage, tönt hier im Innenraum die reinste Turbo-Sinfonie, die bei Gaswegnahme und im Schubbetrieb durch lautes Knallen und einen herzhaften Overrun-Knatterbeat den perfekten Groove bekommt.

Dirigiert wird dieses Orchester von einer Lenkung, wie sie besser kaum sein kann: spitz, direkt aber genauso feinfühlig schneidet man mit den Trophy-R immer genau dort hin, wo man es will. Was an der Vorderachse passiert, wird hier präzise mitgeteilt. Warum ist eigentlich sonst niemand in der Lage, eine solch mitteilsame elektromechanische Servolenkung zu verbauen?

In ihrer Natur ganz der klassische Semislick, wollen die Trofeo R natürlich auch erst vernünftig auf Temperatur gebracht werden, bevor sie ihren Dienst sinnvoll verrichten können. Bis dahin ist der Megané RS Trophy-R besser mit höchster Vorsicht zu genießen, denn selbst unter Zug reicht schon eine etwas spitzere Lenkbewegung, um die Hinterachse in Bewegung zu versetzen. Sind die Gummis ersteinmal auf Temperatur – glücklicherweise ist dieses Temperaturfenster auch auf öffentlicher Straße zu erreichen – wird das Fahrverhalten gleich sehr viel neutraler.

An der Vorderachse klebt der Megané dann auf der Straße, als wäre der Kamm’sche Kreis nur ein hohles Hirngespinst. Der mechanische Grip allein ist gewaltig. Denn diese Vorderachse funktioniert bereits mit normalen Straßenreifen ganz hervorragend – mit Semis umso krasser. Auch dank der mechanischen Vorderachssperre. Das Heck bleibt dagegen weiter in Bewegung. Nicht ganz so heftig, wie mit kaltem Gummi, aber doch stets ausreichend, damit man keine ungewollte Geradeausfahrt befürchten muss.

So ein wunderbares Fahrzeug und die Nordschleife nebenan? Klar! Und eigentlich war nun genau das ausgemacht: Clemens und ich und der Megané RS Trophy-R auf der schönsten Landstraße der Welt – auch wenn Clemens’ Magen bereits reichlich unter der Landstraßenfahrt litt. Eigentlich. Denn leider kommt kurz zuvor ein Anruf. Das Auto muss wieder zurück. Wir werden aber wiederkommen.

Blaue oder rote Pille?

Mit dem Renault Megané RS ist es wohl wie mit der Matrix. Schluckst du die blaue Pille, bleibst du in deiner kuscheligen Sportwagenscheinwelt, in der Fronttriebler ja “nur Fronttriebler”, ein Kompaktwagen der Möchtegern-Sportler für junge Poser oder alle anderen Leoncuprafünfundvierzigergölfe eh die besten sind. Oder du nimmst die rote Pille, welche dir die Augen öffnet, dich aus der Herstellermarketinggewäschmatrix in die Realität holt und: fährst Megané RS. Doch bedenke: es gibt keinen Weg zurück – mein mobile.de-Suchverlauf weiß das zu bestätigen.

Übrigens: Clemens hat auch einen sehr feinen Text zum Trophy-R auf heise autos veröffentlicht, also empfehle ich dringend, auch seinen Text zu lesen.

Renault Megane R.S. 275 Trophy-R
Renault Megane R.S. 275 Trophy-R

Text: sb
Fotos: Jürgen Mainx

Technische Daten

Renault Megané R.S. 275 Trophy-R

Motor-Bauart:
Vierzylinder DOHC mit MultiPoint-Einspritzung und Turboaufladung
Hubraum:
1.998 cm³
Leistung:
201 kW / 273 PS bei 5.500 U/Min
Drehmoment:
360 Nm bei 3.000 – 5.500 U/Min
Höchstgeschwindigkeit:
254 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h)
5.8 Sekunden
Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
9.8 L / 6.2 L / 7.5 L SuperPlus (ROZ 98)

Grundpreis Renault Megané R.S. 275 Trophy-R:
39.990
Leergewicht:
1.372 kg
Max. Zuladung:
433 kg
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
4.299 mm / 1.848 mm / 1.435 mm

Disclosure zur Transparenz

Das Fahrzeug wurde mir freundlicherweise von Renault für den Test zur Verfügung gestellt. Der Test erfolgte unabhängig. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.

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Autor

Gründer und überwiegender Texter hinter passion:driving. Leidenschaftlicher Car-Nerd, immer auf der Suche nach dem Rande des Kammschen Kreises und viel zu häufig auf irgendwelchen Rennstrecken unterwegs. Anglophil veranlagt, liebt britische Sportwagen und fährt eine Lotus Elise S1, um das eigene, eher nachteilige, Leistungsgewicht wieder auszugleichen. Neben passion:driving schreibt er als freier Autojournalist (Mitglied im Verband der Motorjournalisten) auch für die heise autos und andere Publikationen.

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