In vielerlei Hinsicht, war der Audi R8 einigen Kritikern immer schon eine Spur zu lasch: der V8 bot zu wenig Leistung, das Fahrwerk zu untersteuernd ausgelegt, Anfangs die üblichen Ingolstädter Schwierigkeiten mit den Stoppern und überhaupt. Für die neue Generation des R8 hat Audi ihre besten Wetzsteine ausgepackt an den richtigen Stellen angesetzt und mit dem R8 V10 plus ihre bisher schärfste Waffe geschmiedet.
Autódromo Internacional do Algarve, Petrolheads auch einfach als „Portimao“ bekannt, dem Namen der naheliegenden Küstenstadt. Ausgang Boxengasse. Der R8 V10 plus ist voll auf „scharf“ konfiguriert, der Performance Mode über den dedizierten Knopf am Lenkrad auf „Dry“ gesetzt. Ein neues Feature, das Audi ein wenig vom Manettino bei Ferrari abgeschaut hat. Quasi ein Shortcut, um je nach Fahrzustand alle Fahrzeugparameter optimal einzurichten. Regelschwelle des ESP, Steuerung des quattro-Allradantriebs, Kennlinie der Audi-Dynamiklenkung mit variabler Lenkübersetzung und natürlich: Dämpfer gestrafft und Abgasklappen auf Durchzug gestellt.
Und eigentlich müssten die Klappen immer genau so eingestellt sein, auf Durchzug. Denn noch ein letztes Mal darf man hier das infernalische Brüllen eines frei saugenden Zehnzylinders genießen, der in seiner Machart kaum begeisternder sein könnte. Ein Langhuber, der bei 8.250 Touren seine vollen 610 PS anliegen hat und danach wild bis auf 8.700 Umdrehungen weitermarschiert, dort – wenn es der Fahrer will – wild stampfend im Begrenzer Theater machen darf. Die Common-Pin-Welle schlägt die gegenüberliegenden Kolben am gleichen Hubzapfen an, woraus wechselnde Zündabstände aus 54 und 90 Grad entstehen und neben der speziellen Zündfolge die Hauptzutat für diese wundervoll, eindringliche Soundkomposition bilden.
Linker Fuß auf die Bremse, rechter voll aufs Gas. Die Drehzahl schnellt nach oben. Die Launch Control ist aktiviert und der V10 knattert heiser im Nacken. Nicht nur der herzerwärmend, gutturale Gröhl aus dem Heck, sondern auch das wunderbare, im Innenraum wahrnehmbare mechanische Arbeitsgeräusch des Triebwerks sorgen für Gänsehaut. Fuß gelöst und nun passiert in meiner Vorstellung folgendes: der R8 krümmt die Zeit, ich bewege mich irgendwo zwischen mehrfachem Überschall und Warp-Geschwindigkeit. Alles rauscht nur so an mir vorbei. Dieser neue R8 V10 plus schiebt gewaltig. So gewaltig, dass man versucht ist, ihm im Vergleich zu seinem Vorgänger mindestens weitere 200 Nm Drehmoment anzudichten.
Doch 560 Nm sind es „nur“. Ein wenig ist es aber wie beim Stromer-Fahren mit dem Tesla: denn weniger die reine Urgewalt, als viel mehr die Spontaneität der Umwandlung von Energie in Vortrieb ist es, die dich so sprachlos machen. Zudem hat Audi an der Launch Control gefeilt. Während der Vorgänger die Anfahrdrehzahl etwas zu niedrig ansetzte und mit daraus resultierend viel Grip etwas verhungerte, schießt der neue mit leichtem Wheelspin gen Horizont, als ob ein letztes Mal noch ein Dinosaurier seine Dominanz ohne jegliche Zwangsbeatmung, ohne elektrischen Antrieb, zur Schau stellen will. Hier verhungert oder versandet nichts im Drehzahlkeller.
Die erste Rechts. Hart und kräftig ankern. Das Heck tänzelt etwas. Der Lenkimpuls kommt zu rasch, die Hinterachse wird unruhig, keilt aus. Lässt sich aber wunderbar präzise kontrollieren und einfangen. Untersteuern? Ein Phänomen, dass man so ziemlich allen Audi andichten kann. Der R8 aber scheint hiergegen immun. Sofern man ihn richtig fährt. Vorsichtig und zu schnell in die Kurve hinein, dann bekommt auch auch den neuen R8, allradüblich, zum Untersteuern. Mit dem initialen Lenkimpuls lässt sich der Grad der mitlenkenden Hinterachse aber präzise dosieren.
Lektion 2 „Allradantrieb sportlich bewegen“: Drauf auf den Pinsel. Früh. Sehr früh! Dank Hinterachsquersperre und vollvariabler Lastverteilung zwischen den beiden Achsen werden die Drehmomente je nach Fahrmodus mal mehr, mal weniger stark zur und an der Hinterachse verteilt. Mit dem Ergebnis, dass Du bei frühem Gaseinsatz ein herrlich neutrales bis leicht Übersteuerndes Fahrverhalten erntest. Großes Kino. Dieses Auto lädt wie kaum ein weiteres zum sonst so waghalsigen Drahtseilakt im Grenzbereich ein. Der Drahtseilakt wird zum Catwalk, der R8 V10 plus macht das mit einer gefühlten Leichtigkeit, wie sie kaum sonst zu finden ist.
Und dann: diese Vorderachse, diese Lenkung! Nicht übermäßig mitteilsam, nervt sie nicht mit übertriebenem Gewicht und belohnt stattdessen mit einem scharfen Einlenkverhalten, das mich schon fast am Steuer eines 458 Italia wähnt.
Innen ist natürlich auch alles vom feinsten: Alcantara-Dachhimmel, neue optionale Sportsitze mit feststehender Rückenlehne und endlich eine vernünftige Sitzposition. Während das Sitzen im Vorgänger ab 1.80 Meter zur Tortur wurde und die Sitzposition mehr schlecht als Recht war, ist der Pilot im neuen R8 sehr viel besser gebettet. Auch wenn es mit Helm mit der Dachfreiheit doch spürbar beengt zugeht. Das Virtual Cockpit rundet das Gesamtpaket ab und bringt alle Infotainmentfunktionen auf das große Display vor dem Fahrer.
Neu auch das Sportlenkrad, das alle relevanten Funktionen auf sich vereint. Startknopf, dynamic select, Performance-Modus, Klappensteuerung. Alle fahrrelevanten Parameter sind für den Fahrer am Lenkrad zugänglich. Und das ohne die Bedienbarkeit in einer hässlichen Schalterwüste zu ertränken. Stattdessen sind die Funktionen über formschöne Zusatzknöpfe wohltuend für das Auge untergebracht. Und überhaupt: Komfort bietet er auch. Überall. Das Fahrwerk ist in der sanftesten Abstimmung sehr kommod, die Geräuschkulisse sehr dezent. Sparen kann er sogar auch, schaltet bei Bedarf 5 der 10 Töpfe in den Ruhezustand.
Dieses Auto ist also mit allem gesegnet, worauf es ankommt. Viel mehr aber: Fahrdynamisch und akustisch ist dieser neue Audi R8 V10 plus grob. Sehr grob. Ein echter Supersportwagen, ein Präzisionsgerät, wie man es sich wünscht. Das, was optisch geschärft und Kante gemacht wurde, ist auch fahrdynamisch an Schärfe dazugekommen. Es zeigt: Audi kann, wenn sie wollen. Und sie können offenbar richtig gut. Diese fahrdynamischen Anlagen würde ich mir für so manch anderes Modell wünschen. Gute Arbeit, Audi. Ich mag sie, eure neue deutsche Schärfe.
Text: sb
Fotos: sb, Audi
Technische Daten
Audi R8 V10 plus Coupé 5.2 FSI quattro S tronic
- Motor-Bauart:
- V-90°-Ottomotor mit Trockensumpfschmierung, Benzindirekteinspritzung, Vierventiltechnik, DOHC-Zylinderkopf
- Hubraum:
- 5.204 cm³
- Leistung:
- 449 kW / 611 PS bei 8.250 U/Min
- Drehmoment:
- 560 Nm bei 6.500 U/Min
- Höchstgeschwindigkeit:
- 330 km/h
- Beschleunigung (0-100 km/h)
- 3.2 Sekunden
- Verbrauch (innerorts / ausserorts / kombiniert):
- 17.5 L / 9.3 L / 12.3 L SuperPlus (ROZ 98)
- Grundpreis Audi R8 V10 plus Coupé 5.2 FSI quattro S tronic:
- 187.400 €
- Leergewicht:
- 1.555 kg
- Max. Zuladung:
- 340 kg
- Abmessungen (Länge/Breite/Höhe):
- 4.426 mm / 1.940 mm / 1.240 mm
Disclosure zur Transparenz
Ich wurde von Audi nach Portimao, Portugal eingeladen. Reisekosten, Verpflegung und Übernachtung wurden von Audi übernommen. Der Text spiegelt meine persönliche Meinung wieder.
33 Kommentare
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Wie ist die Kiste im Vergleich zu dem Ferrari, den du letztes Jahr in der Schweiz gefahren bist?
Ohne Frage, der Italia ist noch eine ganze Ecke leichtfüßiger unterwegs. Bringt dafür aber auch nicht den Komfort mit. 😉
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Geile Karre und dann noch in Blau, genau mein Geschmack. Wurde letztens auch im TV vorgestellt.
Ein Traum dieser Wagen.
Farbe ist auch super, obwohl weiß eher meine Autofarbe ist.
LG Franzi
Das ist ja mal wirklich ein scharfes Gerät. Besonders das Blau zusammen mit den Carbonteilen.